Ansichten, Geschichten
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Essen ist Musik.

Das leise Rauschen sickerte nur langsam in Constanzes Bewusstsein. Sie schlug die Augen auf. Durch die weit geöffneten, bodentiefen Fensterflügel konnte sie im weiten Bogen der gelbfelsigen Bucht das Türkis des Meeres sehen, das seine Wellen mit weißen Schaumkronen über den feinen Sandstrand rollte. Die Ausläufer eines nächtlichen Sturms. Weit draußen auf dem Meer. Und ihrer Erinnerungen. Constanze zog fröstelnd das Laken hoch, das ihr über den Nabel hinabgerutscht war. Amadé war schon früh aufgestanden. Eine Eigenschaft, die sie bei ihm noch nicht kannte. Wie so vieles.


Ihr erster gemeinsamer Urlaub. Sie waren abends Hals über Kopf aufgebrochen. Nach phantastischem Schneefall im Engadin zum Ende der Saison mit ebenso phantastischen Sonnentagen im Hochtal zwischen Zernez und Maloja hatte es begonnen zu regnen. Es regnete seit Wochen. Sie waren geflohen vor dem sintflutartigen Regen. Vor dem durch das Schmelzwasser entstandenen Chaos. Und vor allem vor der Trostlosigkeit der sonst so sonnenverwöhnten Landschaft, die mit Wolken tief verhangen besseren Zeiten nachtrauerte.


«Die Verheißungen der Schönheit und der Klang des Südens». Eine lange Serie gedehnter Pfeiftöne tönten wie ein sehnsüchtiges Schluchzen aus dem Wald. «Eine poetische Ader? Was ist das für ein Vogel?» Constanze hatte Amadé mehr spöttisch als erstaunt gemustert. «Eine Nachtigall.» Im Tal der Mera hatten sie eine kurze, frühe Rast eingelegt. Die hellgrün strahlenden Kastanienwälder hatten die braun kahlen Lärchen der Hochlagen abgelöst, wie sie im Scheinwerferlicht ihres Autos sehen konnten. Zum Schutz vor dem Sprühregen waren sie unter der Heckklappe gekauert und schlürften frisch gebrühten Kaffee. «Bist Du Skilehrer oder Dichter? Oder gar Naturforscher und Waldschratt?» Er hatte sie nur in einer Mischung aus offensichtlicher Verliebtheit und Ironie aus seinen unergründlichen, grünen Augen gemustert. Dann war er aufgestanden, hatte mit geübten Griffen den Kocher zusammengesteckt und ungerührt festgestellt: «Berühmte Komponisten haben sich von dieser Meistersängerin im Wald inspirieren lassen und ihren Gesang in Kompositionen nachempfunden: Ludwig van Beethoven in seiner 6. Sinfonie, Johann Strauß in der ‹Nachtigallen-Polka› und Igor Strawinsky im ‹Lied der Nachtigall›. Innerhalb einer Stunde kann ein Nachtigallenmännchen mehr als 400 Strophen nacheinander vortragen.» Constanze war sprachlos.
Sie waren die Nacht hindurch bis ans Meer gefahren. Erst in Genua hatte es aufgehört zu regnen. Während der Überfahrt auf Korsika hatte schon die Sonne von einem wolkenlosen Himmel geschienen.

Constanze musterte das schlichte, mit sandfarbenen, groben Fliesen ausgelegte Zimmer: das eiserne Bettgestell, ein grob gefügter Schrank, weiße, leichte Vorhänge bauschten sich im morgendlichen Wind. Links führte ein hoher Durchgang zum großzügigen Wohnraum, der auch gleichzeitig als Küche diente. Mit allem ausgestattet, was zum Kochen nötig war, wie Constanze gestern Abend nach der Ankunft zufrieden festgestellt hatte.

Woher wusste Amadé, dass sie Schlichtheit liebte, die Klarheit des Materials, die Reinheit der Aromen? Sie konnte das Meer riechen, vermischt mit dem zarten Duft der Pinien und der Rosmarinbüsche, die das Haus umstanden. «Wo wir hinfahren, wird es Dir gefallen», hatte er selbstsicher festgestellt, als sie rumpelnd über den Ponton der Fähre aufs Hafengelände Bastias gerollt waren.


Plötzlich perlten Klaviertöne durch den Raum. Leise und doch ganz nah. Constanze rollte sich im Bett nach rechts. So konnte sie den Wohnraum überblicken. Amadé saß, tief versunken am Klavier. Das war also doch nicht nur eine extravagante Dekoration in dieser sonst so einfachen Wohnung. Ein wunderschöner Anblick. Ihr den Rücken zugewandt, die blonden Locken zu einem Rossschwanz gebunden, bändigte Amadé in Boxershorts das komplizierte Instrument mit den vielen Tasten. Tonkaskaden schwollen an und ab. Leicht, süffig, träumerisch. Constanze schloss die Augen. Auch das wusste sie nicht von Amadé. Der letzte Ton verklang. Das Klavier knarzte leise, als Amadé seinen Fuss vom Pedal nahm.

Natürlich ist diese Geschichte hier nicht zu Ende. Wer wissen möchte wie es weiter geht, darf mir gerne in den Kommentaren oder per Mail eine Nachricht zukommen lassen – für eine Reservierung des nächsten Bandes mit Kurzgeschichten, der in einer ganz anderen, überraschenden Form geplant ist, und an dem ich zur Zeit arbeite. 

Ich wünsche Euch allen einen guten Rutsch mit Euren Lieben und ein gesundes und hoffentlich friedliches 2026!

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