Autor: Justus Ammann

Öffentliche Straßenpisser

«Männer sind Schweine» singen die Ärzte. Ist wohl was dran – denkt sich der oder die eine, wenn er oder sie durch die Lande kurven. Und an der einen oder anderen Ausbuchtung Männer sieht, die Wasser abschlagen. Aber nicht etwa diskret hinter einem Baum oder etwas abseits am Ende der Böschung. Nein, der zivilisationsmüde, schamlose oder einfach ungehobelte Mann stellt die Stange Wasser direkt neben, hinter oder vor dem Auto ins Eck. Vielleicht pisst er ja sogar direkt an den Reifen. Aber so genau will man’s dann gar nicht mehr wissen. Schließlich gab’s vor kurzem ein «Nahpiss-Erlebnis»: Wollte doch tatsächlich am helllichten Tag ein vom Drang Geplagter seine Notdurft in der heimischen Garageneinfahrt verrichten. Der zugegebenermaßen nicht zitierfähige Zuruf aus dem Küchenfenster hat Schlimmeres verhindert. Es stimmt schon, das Zusammenleben wird zunehmend schwieriger, wenn der Konsens darüber verloren geht, was sich gehört und was nicht. Aber machen wir es nicht unnötig kompliziert und sagen’s kurz und bündig: «Verpisst Euch, ihr öffentlichen Strassenpisser».

Popcornfressende Assis

Manchmal ist sich ja unsereins nicht sicher: Hat man einfach den Zug der Zeit verpasst? Da genießt man einen schönen Kinoabend, die Tüte Popcorn ist im Nu vertilgt, der Film nähert sich seinem Finale und schwupps, schon läuft der Abspann mit herrlich schnulzigem Indie Pop. Um uns herum. Das Müllchaos: leere Pappcontainer, Softdrinkbecher, Flaschen, Eistüten, Bonbonpapier, Popcorn unter, auf den, zwischen und neben den Sitzen. Auf gut deutsch: «Eine Riesen Sauerei.» Erstaunte Blicke. «Mann, hab‘ Dich nicht so Alter», scheinen sie zu sagen. Ok, ist wohl normal so für alle, den eigenen Scheiss einfach liegen zu lassen. Halt doch von gestern. Dann, auf dem Weg nach draussen am Ausgang stehen zwei freundliche Jugendliche. Sie freuen sich über die leere Tüte, die sich schließlich doch noch zu den einzelnen Flaschen im eigens von ihnen bereit gehaltenen Müllbehälter gesellt. «Normal? Na, ja für uns inzwischen schon. Wir putzen halt jetzt alles weg. Dafür sind wir angestellt, froh über den Job.» Nach einigem Zögern fügen sie hinzu: «Na ja, schon irgendwie asozial. Aber ist halt so.» Aha. Asozial. Ist …

Die Krake frisst Dich.

«Wissen ist der Rohstoff der Zukunft». Haben wir einmal geschrieben vor rund zehn Jahren, für einen Kunden aus der Office-Branche. Jetzt müssen wir zugeben, das ist hoffnungslos überholt. Denn nicht Wissen ist der Rohstoff von morgen, sondern Daten. Möglicherweise würde uns dann eines Tages Wissen zwar helfen. Als Grundlage für mündige Entscheidungsfähigkeit. Aber wenn schon im Kindergarten «Medienkompetenz» mit (früh-)kindlicher Bildung verwechselt wird und später an Schulen und  Hochschulen Methoden Verstehen ersetzen, ist das Ziel der digitalen Monopolisten erreicht: Daten und Algorithmen bestimmen das Leben. Freiheit wird abgelöst von geplanter und verwalteter Sicherheit.

Herbst …

Der Herbst und Deutschland, sie sind nicht ein wirklich gutes Gespann. Der «deutsche Herbst» steht für die «German Angst», vierzig Jahre vorher werden Menschen im vorletzten Monat des Jahres durch die Strassen gejagt und Scheiben zertrümmert. Jetzt geschieht in Deutschland mit dem nicht endenden Flüchtlingsstrom wieder Geschichte. Und manche sprechen vom «Herbst» der ewigen Kanzlerin, während ein frühlingshaft schöner November vor den Kapriolen des Klimas leises Grauen weckt. Morbide Schönheit, zwiespältiges Ahnen einer sich zersetzenden (Wohlstands-) Gesellschaft …

Es gibt keine «Wirtschaftsflüchtlinge»

Ein Unwort: «Wirtschaftsflüchtling». Weil es wertet. Weil es verschleiert. Weil es polarisiert. Im Subtext transportiert, da flüchte jemand vor etwas, vor dem gar nicht zu flüchten sei – letzten Endes als wäre er gar nicht legitim, der so genannte «Wirtschaftsflüchtling». Vielleicht ist das ja auch Zeitgeist. Weil sich solche Worte wunderbar eignen für den hysterischen Hype in den sozialen Netzwerken, welche die sachliche Diskussion, das Argument im politischen Diskurs längst abgelöst haben.