Sie waren wieder in das wunderbare Café am Seeufer des Ammersees von der Stadt herübergekommen, um vor Weihnachten nochmals gemütlich zu brunchen. Mit Sarah und Lina, ihren Freundinnen. Zu Viert würde es schwieriger sein, einen Platz zu bekommen. «Wie ich gesagt habe. Rammelvoll. Hätten doch reservieren sollen.» Er sah Sarah missmutig an, als Lina – immer die unbeschwerte Fröhlichkeit in Person – zum Erker deutete, wo sich am runden Tisch der beste Ausblick über den See bot: «Hey, schaut’s dort sind noch Plätze frei. Fragen wir einfach, ob wir dazu sitzen können.» Dort sass ein alter Mann, eine Mass vor sich und las in einem lose zusammengehefteten, zerfledderten Papierstapel.
«Oh nein, nicht schon wieder.» Lisa sah erstaunt ihre hochgezogenen Augenbrauen. «Kennt‘ ihr den. Sieht doch ganz freundlich aus.» Sie strebte zum Tisch. Der Alte nickte freundlich mit einladender Geste. Musterte ihr Grüppchen kurz und widmete sich wieder seiner Lektüre. Offensichtlich hatte er sie nicht wiedererkannt. Er sah auch verändert aus. Der Zopf war raspelkurzen Haaren gewichen. Zwar immer noch braungebrannt mit weissen Bartstoppeln im Gesicht, wirkte er mit dunkellauem Pullover und heller, sandfarbener Hose gepflegter als das letzte Mal.
Sie sahen sich entsetzt an und verdrehten die Augen. Cappuccino, Rührei, Brötchen und Fruchtsalat standen vor ihnen – es hätte so gemütlich werden können. Es kam wie es kommen musste. Sarah hatte ihm das Stichwort gegeben. Der Alte sah von seinem zerfledderten Papierstapel auf: «Frieden? Ja, ja Frieden. Darf ich Euch zu einem kleinen Gedankenspiel einladen?» Er wartete die Antwort gar nicht erst ab: «Habt’s Ihr schon mal überlegt, warum fast überall auf der Welt Drogen verboten sind? Ganz gleich, ob ein Land frei ist oder unfrei? Stellt Euch mal vor, alle wären zufrieden. Das Bewusstsein befreit. Nicht erweitert oder verändert, sondern befreit. Wirklich zufrieden. Kein Hass, kein Neid. Keine Gier nach mehr. Keine Angst vor nichts. Tja, der Horror für die Mächtigen. Sie hätten keine Chance mehr, zu manipulieren, die Menschen aufzuhetzen, Zwietracht zu säen. Frieden eben.» Die zwei Männer sahen sich genervt an. Sarah und Lisa allerdings schienen fasziniert. «Alter Mann, träumst von alten Zeiten oder was? Love, Peace and Harmony? Und immer einen fetten Joint zwischen den Griffel? Willst uns sagen, freie Drogen für freie Menschen auf der ganzen Welt und dann ist Frieden?» Sarah sah sie böse an. Lisas Blick schien zu sagen «Fremdschämen geht leider nicht, …» Der Alte lächelte: «Ihr Hosensch…, ach nein, das hatten wir ja schon. Bürschchen was wisst’s Ihr schon.» Er sah sie mit einem langen Blick an: «Aber Ihr denkt in die falsche Richtung. Die grosse Frage ist doch, warum nehmen Menschen Menschen überhaupt Drogen? Warum brauchen sie das? Oder warum hängen andere am Konsum oder der Arbeit wie der Junkie an der Nadel? Arbeitet Ihr zwei wegen des Geldes oder wegen der Freude und Eurer Zufriedenheit?» Die zwei Frauen hingen an seinen Lippen. War der Alte Jesus, oder was? Das schien Ihre Wut zu steigern: «Hey Mann. Hast zuviel geraucht seinerzeit oder was?» Lisa fiel ihnen ins Wort: «Es reicht!» Der Gesichtsausdruck des Alten veränderte sich. Härte glitzerte in seinen Augen.«Ihr weicht mir aus. Oder habt Ihr eine Antwort?» «Auf was?» «Darauf, warum Ihr arbeitet und lebt, ohne zu wissen warum.» «Was hat das mit Drogen zu tun?» «Das ist die Frage.» «Du willst also damit sagen, wenn Du Drogen nimmst, verstehst Du den Sinn des Lebens?» «Hab‘ ich das gesagt? Ja, ja, seid’s in guter Gesellschaft. Alles Ausweichmanöver gegenüber der entscheidenden Frage. Machen – fast – alle so.» Der Alte schien sich zu besinnen. Er lehnte sich entspannt zurück: «Bald ist Weihnachten Jungs und Mädels. ‹Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.› Haben die Engel gesungen. Frieden. Frieden im Herzen. Darum geht’s. Das ist die Geschichte von Weihnachten.» Er raffte seine Papiere zusammen, schob sie Lisa hin. «Schenk‘ ich Dir. Und für Euch alle noch ein Musik-Tip ‹Thank God It’s Christmas›. Queen. Hört man wieder. Auch in Eurer Generation. Hab‘ ich mir sagen lassen. Frohe Weihnachten!» Der Alte stand auf, nickte freundlich und verliess das Café durch das dichte Gedränge. Lisa blitzte sie mit wütenden Augen an: «Ihr seid unmöglich.» Sie sahen sich betreten an. «Na, ist doch wahr, der hat uns schon mal mit frommem Scheiss voll gequatscht.» Doch Lisas Interesse galt inzwischen dem Papierstapel. Es schien ein Manuskript zu sein. Auf dem Deckblatt stand gross: «Mut. Los. Gelassen.»
Weihnachten. Natürlich ist diese Geschichte hier nicht zu Ende. Wer wissen möchte wie es weiter geht, kann einfach mal im neuen Jahr in meinen Blog gucken oder auf eine der nächsten Nachrichten warten. Und wer den Einstieg etwas unvermittelt findet, kann den Beginn der Geschichte drei Blog-Einträge (Da Schnee kommt zruck…) vorher nachlesen, ebenso wie die erste Fortsetzung zwei Blog-Einträge vor diesem (Kinder und Narren).
Ich wünsche Euch allen frohe Weihnachten, eine gesegnetes Zusammensein mit Euren Lieben und ein gesundes und hoffentlich friedliches 2025!