Haben Sie sich auch schon einmal gefragt, wo plötzlich die Unmengen an Desinfektionsmitteln herkommen, die plötzlich in jedem Laden, jeder Behörde, jeder Werkstatt, und, und, und, … am Eingang stehen? Ein Produkt, das vor wenigen Tagen noch Mangelware war? Und haben Sie sich auch schon mal die Mühe gemacht, ein Etikett zu studieren? Bakterizid, Fungizid und Wirksamkeitsversprechen im Konjunktiv sind echte Entdeckungen. Aber ich möchte nicht motzen, als Geschichtenerzähler erzähle ich viel lieber eine solche. Eine mittelalterliche Erzählung – und die geht so:
Ein Bader, von dem behaupteten böse Zungen, er sei ein Quacksalber, und ein Pfarrer, sein Leumund war zuweilen besser, zuweilen schlechter, zogen umher als die Pest gar übel wütete in diesem wunderschönen Lande zwischen dem Rhein und dem großen Meer im Norden. Sie hatten auf ihren Maultieren große Satteltaschen aus Leder, gefüllt mit kleinen Fläschchen aus durchsichtigem Glase. Die waren schön anzuschauen, und wenn man sie gegen das Sonnenlicht hob, funkelten die verschiedenen Farbenkreise aufs Wunderbarste gleich einem Kristall aus den Bergen. Das war ein immer großes Staunen und Maul offen halten, wenn die zwei auf einem Marktplatze auftauchten und ihre Fläschchen feilboten. Dann kamen Jung und Alt, bewunderten die Flakons und hingen an der Lippen der zwei fahrenden Männer, die ihre Worte wohl zu setzen wußten. Und weil die Menschen durch das Wüten der Pestilenz sehr verängstigt waren, wollten sie gerne glauben, was ihnen der Bader und sein Spießgeselle erzählten.
Mit den Fläschchen hatte es nämlich eine besondere Bewandtnis. Sie waren gefüllt mit gesegneten, heiligem Wasser, das aus dem Heiligen Lande über wilde Meere, unwirtliche Wüsten, wilde Flüsse und noch unwirtlichere, hohe Berge eine lange, lange, lange Reise hinter sich hatte. Dort war es gesegnet worden von einem heiligen Manne, der es aus einer heiligen Quelle unter großen Mühen gewonnen hatte. Deshalb hatte dieses Wasser auch eine gar wundersame Wirkung: Alle, die jeden Tag davon ein winziges Schlückchen kosteten, würden vor Krankheit, Pein und Schmerz bewahrt bleiben. Ja, und wie die zwei bezeugen wollten, das gesegnete Wasser sollte im Falle eines Falles auch gegen die Pestilenz schützen. Das sagten der Bader und der Pfarrer, die damals durch dieses schöne Land zogen. Auf dem Fläschchen gab es außerdem ein fein gezeichnetes Papier, wo fachkundige Weise alles schwarz auf weiss bekundeten, das es sich so verhielte, wie die zwei Spitzbuben es erzählten. Wie sie des Nachts, wenn sie an einem gluckernden Bächlein vorbeikamen, die Fläschchen mit frischem, klarem Wasser auffüllten, davon erzählten die zwei Spießgesellen nichts. Denn das brauchten die Leute auch nicht zu wissen, die so gerne glauben wollten, was ihren Ohren wohl gefiel. Und es stimmte ja schon, hundert Heller sollte einem ehrlichen Manne und seinem Weibe die Gesundheit schon wert sein. Es war schließlich das Einzige was man hatte in dieser bösen Zeit.
So kauften die von der Pestilenz verängstigten Menschen die Fläschchen. Jung und Alt, Männlein und Weiblein, edle Herren und Damen ebenso wie arme Bettler und Aushäusige, alle kauften sie beim Pfarrer und beim Bader das gesegnete Wasser. So zogen also der Bader und der Pfarrer von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt und verkauften die wundersamen Fläschchen. Überall sah man dann die Menschen, Jung und Alt, Arme und Reiche, Schöne und Häßliche, wie sie jeden Tag brav – so wie es ihnen der Pfarrer und sein Spießgeselle eingeschärft hatten – ein winziges Schlückchen des gesegneten Wassers kosteten.
Jetzt ist es so, dass die Aufzeichnungen der Historie gezeigt haben, die Pestilenz ging zu jener Zeit weiter als mordender Sensenmann durchs Land. Was aus dem Bader und dem Pfarrer geworden sei, darüber gehen die Erzählungen auseinander. Die einen sagten, sie seien in einer großen Stadt am Lech vom wütenden Volke gelyncht worden, weil dort die Pestilenz schlimmer gewütet hatte als je zuvor. Die anderen sagten, die zwei hätten sich gar schöne Frauen zum Weibe genommen und hätten reich und glücklich an dem großen warmen Meere im Süden gewohnt. Wie dem auch immer sei – der Chronist muss kein Urteil fällen, denn geschadet hat das wundersame Wasser sicherlich nicht. Aber auch nicht geholfen.