Wer sich noch an die Unterschriftensammlungen gegen die Volkszählung erinnern kann, oder gar selbst gesammelt hat, gehört definitiv zur Corona Risikogruppe. Umgekehrt gehören jene, die «freiwillig» ihre Handydaten fürs Tracking zur Corona Seuchenbekämpfung zur Verfügung stellen würden, wohl zur Risikogruppe politisch naiver Schlafwandler.
Jetzt könnte man lang und breit über technische Optionen und mögliche Genauigkeiten der Ortung diskutieren, man könnte über epidimiologische Studien debattieren, deren Evidenz auf Datenmaterial von maximal vier Monaten basiert – aber all das würde wohl am Kern des Problems vorbeigehen. Denn es geht bei dieser Diskussion um einen massiven Eingriff in die Freiheits- und Persönlichkeitsrechte jedes einzelnen Bürgers. Für Jens Spahn, den Kanzlerkandidaten in Lauerstellung, wären solche Tracking-Daten das i-Tüpfelchen der elektronischen Gesundheitsakte, in der Ausnahmesituation kollektiver Angstphantasien elegant eingeführt mit dem Label «zeitlich begrenzt», exekutiert als dauerhaftes Instrument der von niemandem in Frage gestellten Volksgesundheit. Übertriebenes Misstrauen gegenüber einem fürsorgenden Staat? Wohl eher berechtigte Sorge vor einer Obrigkeit, die Kontroll-Mechanismen schneller organisieren kann und will als Atemmasken oder Schutzausrüstung.
Natürlich leuchten die Vorteile einer zeitnahen Ortung infizierter Corona-Patienten in der akuten Katastrophen-Situation ein – mit dem Argument der akuten Bekämpfungschancen unter der großen, politisch-gesellschaftlich etablierten «Erzählung der Solidarität». Lassen wir mal außen vor, dass diese Solidarität in anderem Kontext wie zum Beispiel der Klimaveränderung oder globaler Verteilungsgerechtigkeit keinen – oder fast keinen – interessiert hat. Aber ist und wäre es in Zukunft im Sinne einer so beschriebenen volksgesundheitlichen Solidarität solidarisch – sagen wir mal zum Beispiel, zu rauchen? Oder fett zu essen und fett zu werden? Oder Alkohol zu trinken? Oder sich ein Cannabis-Pfeifchen zu gönnen? Oder blutdrucksteigernd bis zum Schlaganfall zu malochen? Oder sich Adrenalin ausschüttend auf Bike oder Ski zu Tal zu stürzen? Oder promisk zu leben? Oder Süsses zu naschen? Alles Dinge, die sich mittels Handy- und Smartwatch-Daten erfassen und messen lassen. Der Traum jedes Epidimiologen, der Alptraum jeden Bürgers einer freien Gesellschaft und das Ende einer solchen.
Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Nachrichtenagentur dpa würden rund 50 Prozent der Deutschen einer Nutzung von Handydaten im Kampf gegen das Coronavirus zustimmen. Erstaunlicherweise erfährt eine solche Nutzung unter Wählern der Grünen (61%) die größte Zustimmung. Hey, Leute – alles vergessen von damals: «Die Freiheit stirbt mit Sicherheit», «Keine Macht für niemand», «Lieber krank feiern, als gesund arbeiten»? Erinnerung an alte Zeiten hilft manchmal und trägt in die Zukunft: «Wehrt Euch!»