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«Cuba Libre» virtuell.

Endlich wieder mal ungezwungen Leute treffen und mit einem schönen «Cuba Libre» bis spät abends am Tresen abhängen? Diese Idee wirkt aus der Zeit gefallen, oder ist bestenfalls eine wehmütige Erinnerung an Vor-Corona-Zeiten. Dominik Galander, lang erfahrener Barkeeper und Betreiber mehrerer Bars in Berlin will das trotz Lockdown und Schließungen seiner Lokale möglich machen. Mit der gleichnamigen «Galander Bar» in Berlin-Kreuzberg hat er ein ehrgeiziges Projekt an den Start gebracht – die erste virtuelle Bar Deutschlands.

Galanders Projekt läuft bereits seit mehreren Wochen und nimmt langsam Fahrt auf. Es ermöglicht dem Unternehmer eine teilweise Rückkehr ins Geschäft und seinen Gästen endlich wieder authentisches Bar-Feeling. Wie die digitale Bar funktioniert, ist auf den ersten Blick allerdings nicht so richtig vorstellbar. Gäste bestellen auf der Website einen Drink vor und erwerben damit eine Eintrittskarte in die digitale Bar. Wer sich nur mal umsehen möchte, kann für fünf Euro eine Eintrittskarte ohne Getränk kaufen. Das funktioniert natürlich im direkten Umkreis, weil Boten im Umkreis von fünf Kilometern ausliefern, oder die Bestellung im Liquor Store neben der «Galander Bar» in Kreuzberg abgeholt werden kann. Das klappt aber auch bundesweit, nur mit etwas mehr Vorlauf. Da ist dann der spontane Besuch nicht – oder eben nur mit Eintrittskarte und eigenem Drink möglich. Wer gut plant, bekommt jedoch den gewünschten Cocktail auf eine kleine Flasche gezogen im umweltfreundlichen Karton und in Holzwolle sicher verpackt, zugeschickt.
Per Mail erhalten die Gäste dann für den Eintritt eine Bestätigung und einen Link zur digitalen Bar. Für das optimale Barerlebnis sollte der Computer neben einem stabilen Internetzugang auch über Webcam und Mikrophon verfügen. Da zur Steuerung eine Tastatur benötigt wird, sollten Interessierte den Laptop oder einen PC nutzen. Tablets und Smartphones eignen sich nicht, weil man sich per Pfeiltasten durch die Bar bewegt, beziehungsweise der mit dem per Zugangsbestätigung zugeteilten Avatar. Das hört sich ziemlich spacy an. Ist es auch, denn mit diesem Avatar geht man durch die fotorealistisch dargestellten Räume der echten Bar. Nähert man sich den anderen Gästen oder dem Barkeeper, dann öffnet sich ein Zwei-Wege Video-Chat wie bei Skype oder Zoom. Sitzt man zusammen an einem Vierer- oder Sechser-Tisch, sind alle die, welche an einem Tisch sitzen, miteinander verbunden und können sich sehen und miteinander reden.

Das Angebot wird gut angenommen. Es gibt Abende, da tummeln sich bis zu siebzig Gäste im virtuellen Raum. Die ersten Live-Konzerte haben so schon stattgefunden und Dominik Galander hat für einen Künstler auch schon die erste Foto-Galerie aufgebaut, die von der Bar aus besucht werden kann. Die Gäste kommen aus Berlin – «bei meinen Stammgästen hat sich das Angebot natürlich herumgesprochen»“, erzählt Galander – aber auch aus der ganzen Republik. Schließlich bietet die virtuelle Bar perfekte Voraussetzungen für Freunde, sich hier auf einen fröhlichen Abend zu verabreden. Moritz Grotepass, der als Unternehmer mit dem Bau von Wakeboard-Anlagen seine Geld verdient und in der Nähe von München lebt, findet: «Ich war zuerst etwas skeptisch, weil ich zur Zeit eh den ganzen Tag in Zoom-Konferenzen hänge. Aber grundsätzlich neugierig habe ich’s ausprobiert. Tja, und kann’s nicht anders sagen – es ist geil». Isabell Maurer, freie Rednerin im badischen Rust wiederum meint: «Für mich ist es schön, in der Bar während dieser Zeit der Isolation im Lockdown Menschen zu sehen und kennenzulernen, die ich wahrscheinlich sonst nie kennengelernt hätte. Außerdem war in angetan davon, dass ich mich technisch schnell zuerchtgefunden habe.» Maren Kling wiederum, Sängerin in Berlin, und unter anderem bei den Berliner Stadtmusikanten Gesangslehrerin, findet das Format spannend, gleichzeitig aber auch befremdlich: «Es ist schon toll gemacht und irgendwie witzig, hier all diese Leute kennen zu lernen, die in verschiedenen Städten verstreut in ihren Wohnzimmern sitzen und zusammen anstoßen. Aber mein’s ist es nicht, ich werd‘ nicht gesellig, wenn ich in auf einen Bildschirm starre. Und mir fehlt einfach der Blickkontakt.»
Dominik Galander räumt ein: «Natürlich kann das alles den persönlichen Kontakt und das Live-Erlebnis nicht ersetzen. Aber erstens können wir im Moment einfach nicht öffnen und zweitens habe ich die Vision, Menschen trotz allem zu ermöglichen, zusammenzukommen und einen schönen Abend zu verbringen. Nicht zuletzt sehe ich die Chance, ein paar Mitarbeitenden hier einen Arbeitsplatz zu erhalten.» Die Wirtschaftlichkeit, das sagt Dominik Galander ganz deutlich, sei nur bedingt gegeben, aber man bleibe im Gespräch, und motiviere sich nicht zuletzt für wieder hoffentlich bald bessere Zeiten, führt er weiter aus. Ob er das Konzept am Leben erhalte, wenn die Bar wirklich wieder ihre Türen aufschließt, weiß er nicht wirklich, will es aber auch nicht ausschließen.

Johannes Warth, in der virtuellen Bar aufgrund persönlicher Verbindungen zum Inhaber, Gast der ersten Stunde, sieht in der technischen Plattform «ein riesiges Potential», wie er sagt. Der schwäbische Unternehmensberater und «Ermutiger» wie er sich selbst nennt, mit Berliner Büro will künftig auf dieser Plattform Seminare in den virtuellen Raum verlegen: «Wie bald wir wieder in größeren Runden zusammenkommen können, weiß kein Mensch. Also werden wir auf Alternativen angewiesen sein. Diese Plattform bietet eine solche.» Dieses Potential sehen offensichtlich auch andere. Stefanie Aufleger aus Konstanz ist zur Zeit dabei, auf der Plattform die längste Fußgängerzone der Welt von Bregenz bis Schaffhausen auf die Füße zu stellen. Auch hier ist die Grundidee, Menschen in der virtellen Welt zusammenzubringen. Und nicht zuletzt natürlich auch, Ihnen neben und mit der Kommunikation den wirtschaftlichen Austausch zu ermöglichen.

Die Plattform nennt sich «Gather.Town». Gather.Town ist ein relativ «junges» Pro-gramm. Auf HTML-Basis – was eine technisch vergleichsweise sichere Grundlage ist, weil mit dem Verlassen der Website auch die digitalen Spuren flüchtig sind – werden in Echtzeit die Bewegungen der Avatare im Raum, das Ton -und das Bildsignal miteinander in Verbindung gebracht. Das stellt die eigentliche technische Innovation dar. Seit Frühjahr 2020 ist die Plattform online, die Entwickler sitzen in Kalifornien. Phillip Wang, Kumail Jaffer und Cyrus Tabrizi sind drei Freunde und Ingenieure, die offensichtlich genau das wollten, was Dominik G-lander jetzt in Berlin gestartet hat, nämlich das Menschen unabhängig von Zeit und Raum sich treffen und austauschen können, wie sie selbst ihren Start beschreiben. Ob die drei mit dieser Software für Kommunikation eine weitere kalifornische Erfolgsgeschichte schreiben, die möglich-erweise Facebook oder Clubhouse ziemlich schnell ziemlich alt aussehen lassen könnten, darauf kann man gespannt sein. Was sie unterscheidet – die Nutzung ist nur bis 25 Personen kostenlos, ab dann muss die Nutzung bezahlt werden. Dafür bieten die Macher nach eigener Aussage auch einen Datenschutz-Standard, der europäischen Anforderungen standhalten soll.

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