Ansichten
Kommentare 1

«Der hat sie ja nicht mehr alle, … »

«Wow! Was, Du hast ein Wohnmobil gekauft? Einen VW-Bus? Wie cool ist das denn?» Mit California oder Pössls Ducato wäre unsereins in jeder Smalltalk Runde richtig gut dabei. Wenn es alle kaum erwarten können, in den wohl verdienten Ruhestand zu schaukeln. «Wie bitte, einen Porsche hast Du gekauft? Einen 911er? Na ja, Boxter ist ja auch nicht gerade billig? Einfach so? Nur zum Spass? Und Umwelt und Klima sind Dir völlig egal?» Ok, da würde die Unterhaltung – zum Beispiel in Deutschlands Öko-Hauptstadt Freiburg – schon schwieriger. Naja, alles eine Frage der Wahrnehmung. Oder?

Die Wirklichkeit:
Einigen wir uns darauf, sie setzt sich aus den Fakten zusammen. Der Porsche Boxter leistet bei einem Hubraum von 2,7 Litern in vier Zylindern 240 PS und stösst 234 Gramm CO2 (NEFZ) pro Kilometer aus. Der VW T6 leistet mit 2,0 Liter Hubraum in vier Zylindern 150 PS und stösst 218 Gramm CO2 (NEFZ) pro Kilometer aus. Der Ducato leistet bei einem Hubraum von 2,3 Litern in vier Zylindern 130 PS und stösst 173 Gramm CO2 (NEFZ) pro Kilometer aus. Die Gesamtbilanz bezüglich Material, Gewicht und verwendeten Baustoffen sparen wir uns. Mit Blick auf den ökologischen Fussabdruck können wir allerdings festhalten – die Unterschiede reichen nicht, um mit den Fingern aufeinander zu zeigen.

Ein Axiom der Kommunikationstheorie besagt – Wahrnehmung schafft Wirklichkeit(en). Und sorgt in unserem Land für immer schrägere Diskussionen. «Was Du fliegst für ein Wochenende nach Hamburg, um Deinen Sohn zu besuchen? In Zeiten von Hitzewellen und sterbenden Wäldern? Kurzstreckenflüge? Gehen ja gar nicht! Für sowas gibt’s die Deutsche Bahn.» Die Überzeugungen sind felsenfest. Manchmal. «Hey geil! Trekking in Nepal. Super. Ach so? Letztes Jahr. Kuba? Steht auch auf meiner bucket-list. Dieses Jahr also Kuba? So cool. Ja, das erweitert in jedem Fall den Blick auf die Welt. Die Menschen sind so freundlich dort.»

Die Wirklichkeit:
Die Flugstrecke Basel-Hamburg hin und zurück beträgt rund 1.400 Kilometer. Der CO2-Ausstoss pro Passagier beträgt 166,8 Kilogramm. Die Flugstrecke Basel-Frankfurt und zurück beträgt rund 620 Kilometer, der CO2-Ausstoss pro Passagier 130,4 Kilogramm. Die Flugstrecke Frankfurt-Havanna beträgt rund 16.500 Kilometer, der CO2-Ausstoss pro Passagier 1.002,8 Kilogramm.
Daraus folgern wir: die Entfernung Basel-Havanna und zurück (in Summe 17.120 Kilometer) verhält sich zur Entfernung Basel-Hamburg und zurück (in Summe 1.400 Kilometer) circa im Verhältnis eins zu zehn. Die ausgestossene Menge an CO2 (in Summe rund 1,13 Tonnen zu 167 Kilogramm) etwas unter eins zu zehn.
Nehmen wir einen dreiwöchigen Bildungs-Trip auf Kuba an, verhalten sich Flugentfernung und ausgestossene Menge an CO2 zur Aufenthaltsdauer im ziemlich genau demselben Verhältnis wie zur Aufenthaltsdauer während des Wochenende-Trips nach Hamburg.

So könnte man also sauber argumentieren, mit Zug und Schiff wäre ja eine Reise nach Kuba auch möglich. Ginge halt einfach länger, …
Spätestens da taucht der Vorwurf auf: «Der hat sie ja nicht mehr alle!» Dabei denke ich einfach nur, dass unser Kopf rund ist, damit sich die Richtung unserer Gedanken ändern kann – und wir weniger ideologiebehaftet miteinander sprechen können.

Quellen: Carwiki, Carbon Emissions Calculator, luftlinie.org

1 Kommentare

  1. Birgit sagt

    Lieber Justus,

    Wieder mal gut zugehört und klar formuliert, was auf der Straße der gut Betuchten gesprochen wird und zusätzlich hast du noch nachgerechnet! Doch wer summiert – außer dir – CO2 Abdrücke zusammen, wenn er sich entscheidet zwischen Porsche oder Womo und Kubakulturtrip oder Hamburgflugreise?

    Laut einem Lied von Roger Cicero, in dem er der Dame seines Herzens Dinge sachlich vorrechnet, die sie wünscht zu haben oder zu tun, lautet der Text: „Du bilanzierst, du definierst, begründest ganz dezidiert, du referierst und deklinierst, zäsierst alles ganz detailliert, was unterm Strich herauskommt, ist eigentlich egal, denn am Ende deiner Worte steht sie, und sie will es nun mal!“ (Roger Cicero: Sie will es nun mal)

    „sie“ und „er“ lässt sich beliebig vertauschen bei den Menschen, die sich diese Fragen der Wahl stellen können. Sie können dankbar sein und den anderen ihre Wahl nicht madig machen.

    Einen schönen Urlaubs – (Reise ?) -Sommer !
    Schwarzwaldgrüße von Birgit

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert