«Wissen ist der Rohstoff der Zukunft». Haben wir einmal geschrieben vor rund zehn Jahren, für einen Kunden aus der Office-Branche. Jetzt müssen wir zugeben, das ist hoffnungslos überholt. Denn nicht Wissen ist der Rohstoff von morgen, sondern Daten. Möglicherweise würde uns dann eines Tages Wissen zwar helfen. Als Grundlage für mündige Entscheidungsfähigkeit. Aber wenn schon im Kindergarten «Medienkompetenz» mit (früh-)kindlicher Bildung verwechselt wird und später an Schulen und Hochschulen Methoden Verstehen ersetzen, ist das Ziel der digitalen Monopolisten erreicht: Daten und Algorithmen bestimmen das Leben. Freiheit wird abgelöst von geplanter und verwalteter Sicherheit.
Zugegeben, für Medienschaffende ist es eher schwierig, den neuen Medien, der damit verbundenen Hardware und den Verheissungen einer schöneren und besseren Welt von Mark Zuckerberg skeptisch zu begegnen. Denn nichts ist ja verheerender für die vermeintlichen Trendsetter der Kommunikation (wir Werbefuzzis), als womöglich mit dem Muff der Ewiggestrigen in Verbindung gebracht zu werden.
Ja, das ist jetzt die spannende Frage: Bedeutet in einer technologiebesoffenen Öffentlichkeit skeptisch zu sein, wirklich «altmodisch»? Setzen wir doch gleich mal ein Zitat dagegen: «Warum seid ihr so empfänglich für unseren Bullshit?Warum». Das sagte Jaron Lanier in einem Interview der FAZ. Jaron Lanier ist nicht irgendwer. Er gilt als einer der Vordenker der «virtuellen Realität», war Teil der Freak-Community im Kalifornien der frühen Achtziger, lehrt heute an der Columbia University und erhielt 2014 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Mit dem «Bullshit» meint er genau die mit den neuen Technologien verbundenen, interessengeleiteten Versprechungen der Megakonzerne aus dem Silicon Valley. Und er meint die Asymmetrie unserer Geschäftsbeziehungen zu Facebook, Apple, Google & Co. Denn wir als User stellen den Rohstoff Daten «kostenlos» zur Verfügung, zur freien Nutzung durch die Technologiekonzerne. Eigentlich müsste es umgekehrt sein: Das sind UNSERE Daten, «wertvoller Rohstoff» für das Geschäftsmodell weniger Konzerne.
Aber es ist wohl so, dass die wenigsten diese Asymmetrie begriffen haben – wobei wir wieder bei der Frage der Bildung und des Verstehens wären. Deshalb frisst die Krake unaufhaltsam an den Freiräumen der Menschen: Bargeld – ersetzt durch Algorithmen und damit verbundene Buchungen, die den Konzernen wertvollen Aufschluss über Lebensgewohnheiten, Konsumverhalten, Einkommen, Lebensstandard und vieles mehr liefern. Versicherungsverträge mit geteiltem Risiko – ersetzt durch Knebelvereinbarungen und einseitiges Risiko durch den Versicherungsnehmer, begleitet von der Illusion, das datenbasierte «Wissen» über den eigenen Gesundheits- und Fitnesszustand für das eigene bessere und gesündere Leben nutzen zu können. Persönliche Gespräche und Begegnung – ersetzt durch scheinbar kostenlose Chats, «sozial kontrolliert» von der «Gruppe» und unzähligen «Freunden» oder «Followern». Die Kosten? Unfassbare Mengen an personenbezogenen Daten. Freie, unkontrollierte Fahrt und die Chance, auch in der Siebzigerzone mit Achtzig Stundenkilometer unterwegs zu sein – ersetzt durch vollständige Bewegungsprofile mit der Dashcam auf dem Armaturenbrett und mit dem faden Versprechen günstigerer Tarife, oder des vollautomatisierten Pannenrufs an die Konzernzentrale. Individuelle Arbeitszeit des Angestellten – ersetzt durch die komplette, sekundengenaue Erfassung mittels App und gnadenloser Auswertung der Leistungsfähigkeit zum Nutzen der Konzerne und einem riesigen Heer so genannter Dienstleister, die mit Software die gewonnenen Daten verwalten und verwerten. Freie Kalkulation des Unternehmers – ersetzt durch die komplette Abbildung des Entwicklungs- und Fertigungsprozesses mittels Softwaretools in der viel gepriesenen Cloud, die als «Industrie 4.0» von Journalisten und Politikern gleichermassen gehypt werden, aber nichts anderes bedeuten, als totale Kontrolle durch die Konzerne, welche als gatekeeper die Macht über den Daten- und Informationsfluss haben. Die Macht des Grossen über den Kleinen. Das ist das manifestierte Ungleichgewicht der informationellen Macht. Mit fatalen Folgen. Die Gesellschaft gerät aus den Fugen. «Normale Menschen» schlagen sich mit hohem Risiko durchs Leben, während die wenigen (erfolgreichen) Monopolisten innert kürzester Zeit extrem reich werden.
So geht es also nicht um die Ablehnung der neuen Technologien, sondern um die Befreiung von der naiven Vorstellung, jene, welche uns die vermeintlich «kostenlosen» Segnungen von Hard- und Software verkaufen, hätten unser individuelles Wohl im Auge. Und es geht um die Behebung der informationellen Asymmetrie: Wir müssen die Macht und Autonomie über unsere eigenen Daten erlangen. Gegenüber den Konzernen und gegenüber dem Staat. Und wir ganz persönlich müssen darüber entscheiden wer darauf zu welchem Preis Zugriff hat. Hoffen wir, dass irgendwo ein ebenso kluger und kreativer wie risikofreudiger und verantwortungsvoller Kopf an der Technologie arbeitet, welche die arroganten Zuckerbergs dieser Welt auf ihre echte Bedeutung für die Entwicklung der Menschheit reduziert und ihre Monopole zerbröselt.
Übrigens noch ein Lesetip zum Schluss: «The Circle» von Dave Eggers ist ein hellsichtiger und aufklärerischer Roman über die Abgründe der versprochenen schönen neuen Welt.