Was sollte das jetzt werden? Der Alte mit den strähnigen Haaren und abgeranzten Klamotten aus dem Haus schräg gegenüber, der aussah wie ein Wanderprediger, begann auf seinem kleinen Balkon etwas aufzubauen. Roberto saß, seine AirPods im Ohr, mehr ärgerlich als entspannt vor seinem Bier auf seinem eigenen Balkon, von dem er über den großen Innenhof – und eben auch direkt auf den ein paar wenige Meter entfernten und ein Stockwerk tiefer liegenden Balkon des Alten blicken konnte. Die Häuserblocks standen acht Stockwerke hoch in einem Quadrat angeordnet. Deutsche Standard-Architektur, alles in grau und weiß gestrichen. Diese Art von Wohnsiedlungen sahen inzwischen von Freiburg bis nach Flensburg alle gleich aus. Die kapitalistische Übersetzung des Plattenbaus. Der März war ungewöhnlich warm in diesem Jahr, die Abendsonne verwöhnte die Häuser mit den nach Westen ausgerichteten Balkonen mit einem milden Finale des Tages.
Shut down: «Endlich Zeit für sich selbst», «Zeit schon lange Unerledigtes anzugehen», «Geschenkte Zeit sinnvoll nutzen und eine Sprache lernen, italienisch ist doch soo schön!» Er konnte diesen elitären Quatsch bald nicht mehr hören. Erstens konnte er bestens italienisch, weil er gebürtiger Italiener war, zweitens war er in Deutschland, weil er arbeiten wollte und ihm seine Arbeit gefiel, und drittens vermisste er seine Verwandtschaft, die er in den anstehenden Osterferien eigentlich besuchen wollte. Daraus wurde voraussichtlich nichts die nächsten Wochen, wenn nicht gar Monate. Viertens musste er Geld verdienen, um den neuen Alfa abzubezahlen, den er idiotischerweise Anfang des Jahres bestellt hatte. Ein alter Jugendtraum. Und jetzt begann dieser Alte wohl auf neue Art zu nerven.
… … Wer die ganze Geschichte lesen möchte, darf mir gerne eine E-Mail schreiben und sich vormerken lassen. Zum Jahresende 2021 wird es ein Buch mit Kurzgeschichten, Superkurz-Geschichten und Fotos von mir geben.
Hallo Justus,
das war der schönste und beste Beitrag, den ich bis jetzt von allen, die gerade schreiben (und das werden ja immer mehr), gelesen habe. Chapeau!
Lieber Justus ,
Wahnsinn, das Ganze erinnert mich sehr an eine wunderschöne Sommernacht, 1976, in den Bergen oberhalb von Imperia.
Ich war mit meinem besten Freund und meinem Simca 1000 in Ligurien urnterwegs. Es war schon spät am Abend, und es wurde langsam dunkel. Wir beschlossen, nicht weiterzufahren und stellten uns auf eine Parkbucht der Bergstraße mit Sicht auf die Küste. Wir wollten diese Nacht im Simca verbringen. Während wir die Sitze runterklappten und unsere Schlafsäcke richteten, fuhr ein weiters Fahrzeug auf die Parkbucht. Ein italienisches Pärchen hatte das Gleiche vor wie wir. Sie richteten auch Ihre Schlafsachen und fragten uns, ob wir was dagegen hätten, wenn sie noch etwas Musik machten.
Nein, ganz im Gegenteil, war unsere Antwort. Und dann erlebten wir einen der bis dahin schönsten Abende. Die beiden spielten Gitarrre und Saxophon und hatten wunderschöne Stimmen. Der Abend ging dann bis tief in die Nacht. Wir haben am Schluss noch viel zusammen gesungen und auch ganz schön viel Vino Tinto miteinander getrunken.
Als wir dann aufhörten zu singen, hörten wir aus dem hinteren Teil der Parkbucht Beifall und „Zugabe“-Rufe. Dort hatten sich, von uns unbemerkt, noch weitere drei Fahrzeuge eingefunden.
Mit denen haben wir noch eine Flasche Lambrusco getrunken!
Das war ein Abend wie ein großes Geschenk – und einfach unvergesslich!