Ansichten
Kommentare 1

Kreativität – oder einfach glücklich sein.

Gabriele Hauger, Kulturredakteurin der Oberbadischen Zeitung hat mit mir ein Interview geführt. Mit sensiblen Fragen , die nicht nur an der Oberfläche kratzen. Und für Fragen, die herausforderten, das eigene Schaffen zu hinterfragen. Etwas später ist in der Badischen Zeitung eine Rezension von Roswitha Frey erschienen. Das Interview findet Ihr im Folgenden.

Gabriel Hauger (GB): «Den Himmel berühren», so lautet der Titel Ihres neuen Novellen-Bandes. Ein Titel, der viele Assoziationen auslöst. Was steckt dahinter?

Die vergangenen zwei Corona-Jahre waren für mich mental eine Herausforderung und sind es immer noch. Die Pandemie hat aus meiner Sicht viele „Sollbruchstellen“ offen gelegt: wirtschaftlich, gesellschaftlich, ethisch, persönlich. Leider ist Undenkbares denkbar und Unsagbares sagbar geworden. Mit Folgen. Einsamkeit, Aggression, Hass auf der einen Seite, aber auch Zuwendung und Besinnung – auf das Wesentliche – auf der anderen Seite. Wenn ich von Herausforderung spreche, meine ich vor allem für mich persönlich die Herausforderung «Nach- und Überdenken» zu wollen, ja, und leider auch, zu «müssen». Über das Erlebte, Gehörte, Gesehene – im weitesten Sinne Wahrgenommene. Und auch hier wieder die Zwiespältigkeit: Erschrecken über das Beängstigende, Staunen über das Schöne. Schreiben hat in diesen zwei Jahren auch bedeutet – zu verarbeiten, zu kompensieren. So ist das Buch entstanden. Auch als Grenzerfahrung. Der Titel verweist auf unsere Begrenzung als Menschen, aber auch auf die Möglichkeit, unsere Berufung und unsere Bestimmung zu leben. Und dann den Himmel zu berühren. Was auch immer das für den einzelnen bedeuten mag. Die Geschichten lassen diese Berührung anklingen. Auf unterschiedliche Weise, auf unterschiedlichen Ebenen.

GB: Der Aufbau des Buches ist ungewöhnlich: einerseits Kurztexte mit überraschender Pointe oder Wendung kombiniert mit eigenen Fotografien; andererseits Novellen. Wie kamen Sie auf diese Kombination?

Die Kurzgeschichte ist aus meiner Sicht die ideale Stilform für die eben beschriebene Intention. Weil das Ende offen bleibt – und die Lesenden sich auf die Geschichte ihren «eigenen Reim» machen können: denkend, fragend, träumend, … Die Kurztexte folgen der Instagram-Logik und -Optik: ein schönes Bild, ein treffender Text, und dann kann es der Leser oder «Follower» mögen oder nicht. Ich habe das Format auch auf Instagram angetestet. Auch hier das offene Ende als Auslöser für die eigene Fantasie und Fortführung der Geschichte.


GB: Was gibt Ihnen die Fotografie, was das Schreiben?

Da bin ich noch dabei es herauszufinden. 😀 Ob ein Bild mehr sagt, als tausend Worte. Oder ob es vielleicht so ist, dass ein Wort tausend Bilder auslöst. In jedem Fall bedeutet Kreativität für mich «glücklich sein». Ja, da «berühre» ich «den Himmel».

GB: In den Geschichten spielt auch Corona eine Rolle. Vor allem die geforderte Distanzierung von Mitmenschen. Drängte es Sie, diese gesellschaftliche Ausnahmesituation zu verarbeiten?

Ja, wie schon angesprochen. Schreiben bedeutete und bedeutet für mich auch «verarbeiten». Ich bin fest davon überzeugt, dass wir als Gesellschaft im Moment – leider – die körperliche Gesundheit zu stark im Fokus haben. Die psychischen Herausforderungen und Zumutungen der Pandemie bleiben in der öffentlichen Diskussion, aber auch bei der Beurteilung angemessener Massnahmen, weitgehend aussen vor. Diese Seiten nicht zu «verarbeiten», wird uns früher oder später auf die Füße fallen. Gestern habe ich die Zahlen zu steigenden Suiziden unter Jugendlichen gesehen. Sie sprechen eine deutliche Sprache. Ich spitze es jetzt mal provozierend zu: Was nützt körperliche Gesundheit, wenn die Seele verkümmert? Wir werden als Menschen in der Vereinzelung dauerhaft nicht «überleben».


GB: Ihre Protagonisten sind oft Außenseiter, Fremde, Unglückliche. Sie zeigen aber auch glückliche Schicksalswendungen. Sind Sie ein positiver Mensch, wollen Sie damit Hoffnung machen?


Ja. Eindeutig. Das war und ist vielleicht sogar die Hauptmotivation, zu schreiben: Hoffnung. Chancen. Möglichkeiten. Hoffnung macht aus meiner Sicht unter anderem ganz wesentlich Leben aus.


GB: Was oder wer inspiriert Sie zu Ihren Geschichten?


Schwierig zu sagen. Ja, vielleicht Wahrnehmungen im eigentlichen Wortsinne. Ich glaube, Schreibende, Kreative sind dafür sensibler. Das Kleine, Unscheinbare zu sehen, die Zwischentöne zu hören, das Nichtgesagte zu spüren, hinter dem Naheliegenden oder Offensichtlichen das Versteckte zu ahnen. Intellektuell und emotional. Ganz ehrlich, manchmal empfinde ich diese Sensibilität auch als Last. Darüber schreiben zu können, ist wiederum auch befreiend. Die Muße zu haben fürs Schreiben, oder anders ausgedrückt, neben einem anstrengenden Brotberuf sich die Freiheit für diese Muße zu nehmen, ist dabei die eigentliche Herausforderung. Mit Muße schließlich geht es «fast von alleine».

GB: Ein neuer Roman «Jagdlust» ist in Arbeit. Verraten Sie uns, um was es geht?

Um die verpasste Chance dreier Menschen – in einer unglücklichen Beziehung aneinander gekettet – «wirklich» zu «leben». Weil sie es verpasst haben, ihre eigenen Erfahrungen und die daraus entstandenen Zwänge – negative Leidenschaften – hinter sich zu lassen. Die «Jagdlust» steht dafür stellvertretend, symbolisch.

Das Interview ist in der Wochenendausgabe am 14.01.2022 veröffentlicht worden.

1 Kommentare

  1. Klaus Schön sagt

    Lieber Justus,
    ich habe am letzten Wochenende „Den Himmel berühren“ fertig gelesen und war begeistert, beeindruckt und inzwischen nicht mehr überrascht von Deinen literarischen Fähigkeiten.
    Und ja, etwas zu sehen und zu hören heißt noch lange nicht, das Gesehene und Gehörte auch „wahrgenommen“ zu haben.
    Dazu gehört eine zusätzlich Sensibilität und die hast Du wohl. Und das Wahrgenommene dann auch noch so inspirierend und mitreißend niederschreiben zu können, ist eine Gabe und eine süße „Last“.
    Weiter so 👏

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert