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Siebte Türe: Selige Kindheitserinnerungen …

Erinnert Ihr Euch noch an die wunderbare Geschichte «Robi Tobi und das Fliewatüt»? Das gibt’s jetzt in echt. Ich war dieser Tage damit unterwegs. Zurück in die Zukunft, könnte de Ausflug überschrieben werden. Es war schön, nochmals Kind zu sein.

Das Konzept des Schweizerischen Microlino hatte meine Neugier geweckt: eine neue Produktkategorie zwischen Motorrad und Auto. Das sympathische Wägelchen leugnet die gestalterische Verwandtschaft zur automobilen Ikone der Fünfziger keineswegs – der Isetta von BMW. Denn eingestiegen wird über die einzige Vordertür. «Ein herkömmliches Auto fährt im Schnitt pro Tag nur 35 Kilometer weit und transportiert nur 1,2 Personen. Dies macht es offensichtlich, dass herkömmliche Autos viel zu groß und zu schwer für die Alltagsstrecke sind», sagt Mitgründer Merlin Ouboter vom Schweizer Familienunternehmen Micro. Das hört sich schlüssig an und offensichtlich hat hier jemand individuelle Mobilität komplett neu gedacht.

Das Fliewatüüt fuhr und flog seinerzeit mit Himbeersaft. Der Microlino allerdings zieht Strohm aus einer Batterie, die es in drei Versionen – für 91, 177 oder 230 Kilometer Reichweite gibt. Und damit geht’s dann ziemlich flott voran durch Basel und sein Umland. Extrem wendig und flink wuselt das Leicht-Elektrofahrzeug der EU-Kategorie L7e um die Kurven, hält locker mit dem zäh fließenden Verkehr in der Metropole am Rheinknie mit. Gut, dass der LKW an der Ampel mit seinen Stoßfängern gefühlt den Hinterkopf berührt – daran muss und kann man sich gewöhnen. Denn mit dem Faltdach und Schiebefenstern links und rechts ploppen Erinnerungen an eine Zeit im Leben auf, als das Fliewatüüt schon lange vergessen war. Das erste eigene gebrauchte Auto mit rostigen Kotflügeln und schwächlichem, aber zuverlässigem Boxer, die «Ente», war ungefähr ähnlich charmant wie der Microlino. Das sehen auch die Passanten in Basel so. Fröhliches Lächeln und Winken, «guck mal Mama, das kleine Auto» an der Ampel, oder der nach oben gereckte Daumen des Müllwerkers der unsereins großzügig vorbei winkt, steigern ohne Frage die Freude am Fahren. Funktioniert offensichtlich also, was die Entwickler im Sinn hatten. «Wir wollten nicht nur ein praktisches Fahrzeug auf den Markt bringen, sondern auch eines, dass einem beim Fahren ein Grinsen aufs Gesicht zaubert», sagt Oliver Ouboter, einer der zwei Söhne von Merlin Ouboter.

Keine Frage, der Microlino ist das perfekte Stadtauto. Auto? Ist es das? Nicht wirk-lich. Weder vom Fahrgefühl, noch vom Konzept. Viel weniger Komponenten, ein geringes Gewicht, der weitgehende Verzicht auf herkömmlichen Komfort wie gepolsterte Sitze, Klimaanlage oder aufwendige Unterhaltungselektronik, aber auch insgesamt kleine Abmessungen machen den Microlino umweltfreundlicher als ein Auto. «Vereinfacht gesagt, benötigen wir viel weniger Batteriezellen pro Kilometer Reichweite als herkömmliche Elektroautos, weil das Fahrzeug viel we-niger Energie benötigt, um bewegt zu werden. Daher ist der Energie-Fußabdruck für die Produktion und Nutzung eines Microlino nur etwa ein Drittel desjenigen eines herkömmlichen Elektroautos», erklärt Merlin Ouboter, den grundsätzlich alternativen Ansatz. Mit einer selbsttragenden Karosserie aus Stahl und Aluminium ist das Mobil sicherer und langlebiger als die in dieser Kategorie normalerweise verwendeten Gitterrohrrahmen. Darüber hinaus ist die Außenhaut der Karosserie ebenfalls aus Aluminium und Stahl gefertigt, während diese bei vergleichbaren Fahrzeugen aus Kunststoff besteht.

Zurück zum Fahrgefühl. Nachdem man über den Fronteinstieg – eine kleine Show fürs Publikum, die Aufmerksamkeit garantiert – auf der ziemlich harten Zweier-bank Platz genommen und sich angeschnallt hat, geht es – wie gesagt –ziemlich fix zur Sache. Ungefähr so wie im Boxauto auf der Kirmes. Das heißt, mit direkter Lenkung, engagiertem Vortrieb und ebenso entschiedener Bremse, mit null Federkomfort und der Geräuschkulisse eines Gabelstaplers. Aber das in hoher Tonlage surrende Motörchen sollte nicht unterschätzt werden. Willig und zügig zieht es das Mobil und mich aus der Stadt Richtung Gempen, eine bei Renn-radfahrern der Region beliebte Bergprüfung. In den 180 Grad-Kurven liegt der Mikrolino mit tief gelagerter Batterie ziemlich satt auf der Straße, während ich selbst allerdings auf der Sitzbank um Haltung kämpfe. Auf der Bergabfahrt sam-melt der Mikrolino dann mittels Rekuperation wieder Strom für die anschließende Fahrt über die Stadtautobahn Richtung City. Die versprochenen 90 Stundenkilo-meter Maximalgeschwindigkeit hält der Mikrolino ohne Schwierigkeiten. Allerdings bange ich angesichts des im Falsett jaulenden Antriebs um die sichere Ankunft. Eine unbegründete Angst. Wieder zurück in seinem eigentlichen Revier, der Stadt, surren wir wieselflink durch Gassen und Straßen der Innenstadt und parken unser Mobil quer in die kleine Parklücke. Ein Drittel des üblichen Platzes benötigt der Mikrolino gegenüber einem herkömmlichen Auto. Dann steige ich ganz cool über die Front – und wieder gucken alle – direkt auf den Gehsteig aus.
Das Mobil ist definitiv kommunikationsfördernd, so lässt sich trefflich mit wild-fremden Menschen über die grundsätzliche Idee dieses Fahrzeugs philosophieren: Das nachhaltig sparsame Mobil ist für Stadtbewohner oder Pendler aus dem Umland perfekt, um trocken, schnell und relativ umweltfreundlich von A nach B zu gelangen. Ideal für Kurzstrecken ohne großen Komfortverlust. Für die Langstrecke und Reise bleibt das konventionelle Auto. Ob das dann mit Verbrenner oder E-Antrieb nachhaltiger ist? Tja, was soll man sagen, wenn alle dasselbe glauben …

Fakten:

Max. Geschw. 90 km/h
Beschleunigung (0-50km/h) 5 s
Leistung nominal 12.5 kW
Leistung peak 19 kW
Drehmoment 89 Nm
Reichweite 91/177/230 km
Batterie 6 kWh, 10.5 kWh, 14 kWh
Ladezeit 0-80% 4h (6 kWh)3h (10.5 kWh) 4h (14 kWh)
Zellchemie Lithium-Ion (NMC/NCA)
Leergewicht 496 kg (exkl. Batte-rie)
Sitze 2
Kofferraumvolumen 230 l

Die Auslieferung in Deutschland und anderen europäischen Ländern wird 2023 beginnen, der Startpreis liegt bei rund 15’000 Euro.

3 Kommentare

  1. Oh, was für eine schöne Fahrzeug-Beschreibung … eine große Handtasche würde noch mit rein passen? Da bin ich ja fast versucht meinen geliebten Fiat 500 einzutauschen. 🙂

  2. Klaus Opitz sagt

    Mir scheint, die ganze „Klimabewegung“ mit ihrer Dämonisierung von Verbrennungsmotoren ist eine träumerische Kindheitserinnerung. „Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung“.
    Statt so einer „Strumpfkugel“ (als Knutschkugel scheint es sich ja nicht zu eignen, bei der Kapazität von 1,2 Personen) würde ich doch lieber den öffentlichen Nahverkehr nutzen. Für 15000,-€ kann ich damit im Netz rund 25 Jahre fahren. Hält das Ding auch so lange?

  3. Dieses herzige Gefährt, ich würde es trotz aller Reduktionen auf das Minimum, einfach mal „Auto-chen “ nennen wollen, kommt zur richtigen Zeit. Es ist konsequent für den richtigen Zweck geschaffen worden, dem es offensichtlich voll gerecht wird.
    Da hätte selbst ich, der die Batterie-elektrische Mobilität ansonsten aus bekannten Gründen komplett ablehnt, keinerlei Skrupel, um damit herum zu fahren.
    Das ist der Kompromiss! – schlechthin, nein: guthin!

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