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Wem zum Vorteil?

«Ach, ich zahl‘ inzwischen doch auch das Meiste mit der EC-Karte. Weisst Du, das Risiko mich mit Corona zu infizieren ist mir doch irgendwie zu groß». Erzählte dieser Tage ein kürzlich in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedeter Bäckermeister. Trotz sinkender Inzidenzen und «Lichts am Ende des Tunnels». Als Handwerker wusste er eigentlich den echten Wert des Bargeldes in einem langen Berufsleben zu schätzen. Noch vor wenigen Wochen wechselten feinste Brötchen gegen Münzen und Scheine in seinem Laden den Besitzer. Er hatte sich nicht angesteckt.

Doch die allenthalben angebrachten Hinweisschilder – seit Corona in jedem Supermarkt Standard – verfehlen ihre Wirkung offensichtlich nicht. Und das, obwohl der größtes Vertrauen genießende Virologe Christian Drosten schon im März 2020 in seinem NDR-Podcast sagte: «Das auf dem Geldstück klebende Virus würde ich mal weitgehend vergessen.» Seither haben das verschiedenste Studien auf der ganzen Welt weiter belegt. Sich an Bargeld anzustecken – das Risiko tendiert gegen Null.

Cui bono? So komme ich zum berühmten Cicero. Wer kein alter Lateiner ist, dem sei übersetzt: «Wem zum Vorteil?». Der römische Redner, Staatsmann und Philosoph verwendete diese Frage in mehreren Verteidigungsreden im Rahmen von Mordanklagen. In der Moderne ist das Prinzip, bei der Frage nach persönlicher Verantwortung nach dem Nutzen zu fragen, aus Kriminalistik, politischer Analyse und Geschichtswissenschaft nicht mehr wegzudenken. Allerdings – die Argumentation mit dem Cui-Bono-Prinzip allein kann zum Fehlschluss führen. Denn aus dem gleichzeitigen Vorhandensein eines Interesses und eines Ereignisses, das diesem Interesse dient, kann nicht einfach auf die Kausalität des Ereignisses geschlossen werden. Es könnte ja auch durch ebenfalls interessierte Dritte oder bloßen Zufall eingetreten sein? Das zu bestreiten, wäre eindeutig Verschwörungstheorie.

Also im konkreten Fall: Keine hinterhältigen Chinesen haben das Virus in die Welt gesetzt, um mit digitaler Währung die Weltherrschaft an sich zu reißen. Und keine bösen Corona-Massnahmen-Politiker möchten Bargeld abschaffen und Bürger zu gläsern-digitalen Konsum-Sklaven machen. Nein, jetzt kommen der Zufall – oder doch «interessierte Dritte»? – ins Spiel: Es trifft sich doch wunderbar, wenn Banken endlich die Kosten der Bargeld-Verwaltung vom Hals bekommen. Und wenn Wallmart, Rewe und Aldi oder Amazon jede Konsum-Bewegung in Echtzeit verfolgen können, die Werbewirtschaft dann in Folge individuell zugeschnittene Promotion-Pakete schnüren kann und der digitale Laden richtig brummt. Ach, dass es für Vater Staat ganz hilfreich ist, im Zweifel digitale Geld-Spuren eins zu eins abrufen zu können, ist nicht von der Hand zu weisen. Aber warum auch sollte man die Gunst der zufälligen Stunde nicht nutzen?

Doch umgekehrt sollte dann auch die erhellende Frage «Wem zum Vorteil?» nicht als Versuch zur Verschwörung diskreditiert werden, um einfach weitere Diskussionen im Keim zu ersticken. Denn die Frage und mögliche Antworten sind Ausgangspunkt dafür, dass wir darüber streiten und abstimmen, wie wir uns unsere Zukunft wünschen.

Ein paar Lebensbereiche fallen mir dazu schon noch ein.

Ist ja nur auf den ersten Blick putzig, wenn beim Zahnarzt auf den Titel von Stern und Spiegel Verlage und Lesezirkel barmen: «Grünes Licht für Zeitschriften – führende Institute und Virologen schließen eine Corona-Übertragung durch Zeitschriften mit hoher Wahrscheinlichkeit aus. Und auch die Bundesregierung, das Bundesgesundheitsministerium sowie das Robert-Koch-Institut warnen vor Vielem, allerdings nicht davor, Zeitschriften zu verwenden oder auszulegen». Nein es ist nicht witzig, es gibt tatsächlich Menschen, die am Frühstückstisch keine Zeitung mehr lesen. Der Austräger könnte ja Corona haben. Cui bono? Facebook, Google & Co wären durchaus Kandidaten, die den oben genannten Zufall nutzen möchten. Also, lasst uns streiten darüber, ob wir Journalismus durch vermeintlich kostenlose Fake News ersetzt, und das gedruckte Wort von flüchtigem Digital-Geblubber abgelöst sehen wollen.

Innenstädte sterben aus. Stationäre Einzelhändler, Cafés und Restaurants gehen den Bach runter. Cui bono? Amazon feiert jeden Monat neue Umsatzrekorde und hat im Jahr 2020 seinen Gewinn um märchenhafte 83 Prozent auf 21,2 Milliarden Dollar gesteigert, Bring- und Paketdienste können ihr Glück nicht fassen. Aber – wollen wir wirklich lausigst bezahlte Kuriere und Lagerarbeiter, die nicht mal wissen, wie man Tarif buchstabiert? Wollen wir privatisierte Gewinne nach dem Muster «the winner takes it all» und sozialisierte Risiken und Lasten, nämlich verstopfte Straßen und verpestete Luft, ausgestorbene Marktplätze und arbeitslose Selbstständige? Wäre wohl schon einen echten Streit wert oder?

Die für Normalbürger gefühlt bleierne Zeit der Pandemie war die Zeit des Börsen-Booms. Zug um Zug stiegen die 30 Dax-Konzerne auf Rekordbewertungen. Mit Rekordgewinnen im ersten Quartal 21 wissen wir es nun ganz genau: 42 Milliarden Euro verbuchten die Unternehmen vor Steuern und Zinsen in den ersten drei Monaten dieses Jahres als Gewinn, wie aus Berechnungen der Unternehmensberatung EY hervorgeht (Quelle: The Pioneer). Das erste Quartal 2021 kann also als das erfolgreichste Quartal aller Zeiten bezeichnet werden.
Cui bono? Wollen wir einen ungezügelten Finanz- und Staatskapitalismus, der mit dem billigen Geld der Notenbanken und dem gefühlten und realen Einkommensverlust der arbeitenden Bevölkerung zockt, als gäb’s kein Morgen? Und am Schluss zahlt genau diese arbeitende Bevölkerung die Sause mit Inflation und totaler Vernichtung ihrer Ersparnisse – und alles politisch begründet mit der Pandemie?

Lassen wir einstweilen weitere Beispiele …

Cui bono? Nochmal – die berechtigte Frage ist der Anfang möglicher Antworten. Über die sollten wir diskutieren und nicht schweigen. Das alles hat nämlich mit der Pandemie nur bedingt zu tun. Sie war und ist lediglich der «Brandbeschleuniger» für politische, wirtschaftliche und vor allem mächtige Unterströmungen eines globalen Feuersturms der radikalen Umwälzungen.

1 Kommentare

  1. Robert Stolz sagt

    Lieber Justus, wie wahr. Aber wer will etwas daran ändern? Veränderungsprozesse sind mühsam, anstrengend und davon profitiert Amazon. Abends, auf der Couch liegend noch schnell was bestellen und mit etwas Glück liegt das Päckchen morgens vor dem Aufstehen schon vor der eigenen Tür. Man könnte das auch am Samstagmorgen beim heimischen Händler kaufen, meist nicht einmal teurer, dabei vielleicht noch den Nachbarn treffen, den man lange schon nicht mehr gesehen hat…. Man oder Frau könnte…. aber der Mausklick macht es uns zu einfach und das weiß Jeff Bezos ganz genau. Es liegt an jedem Einzelnen, etwas daran zu ändern.

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