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Besuch. Das erste Türchen.

Sie stand direkt an der Einfahrt. Barbara hätte die Frau fast überfahren, als sie von dem fast kreisrunden, kleinen Platz in den gepflasterten Hof einbog. «Mama. Achtung.» Lina auf dem Rücksitz, die sie nach dem Einkauf von der Klavierstunde abgeholt hatte und die ausnahmsweise nicht auf ihrem Handy dattelte, hatte fast geschrieen. Barbara kannte die Frau nicht. Sie war mittelgross, nachlässig aber nicht schmutzig oder ärmlich gekleidet, und sie hatte offensichtlich ins Tal geblickt, wo in der aufkommenden Dämmerung die Lichter der Stadt glitzerten und sich im See spiegelten. Die Frau allerdings hatte nur kurz den Kopf gewendet und schien dann wieder ungerührt den phantastischem Ausblick zu geniessen, den man vom wunderschönen Barbaraplatz aus hatte.

Um den Barbaraplatz gruppierten sich fast kreisrund angeordnet vier Villen, deren Hofeinfahrten sich zu diesem städtebaulichen Kleinod öffneten. Während drei der Villen vom Platz abfallend tiefer lagen, thronte das zwar kleinste, aber schönste moderne Gebäude der Familie Meyerhöfer leicht erhöht. Dass dieser Platz den Namen von Barbara Meyerhöfer trug, war das romantische i-Tüpfelchen der Preziose, die Jonathan Meyerhöfer am Tag ihrer Hochzeit seiner Frau geschenkt hatte, nämlich eben diese kleine, schicke Villa in privilegierter Lage. In zwei der anderen Villen wohnten jeweils die Cousins Jonathans mit ihren Familien, in der vierten, dem Familienstammsitz, Jonathans Mutter Cécile, die dort alleine residierte, seit ihr Mann Carl vor einigen Jahren früh, zu früh, gestorben war. Die räumliche Nähe zur Schwiegermutter, deren Kälte und machtbewusste Kompromisslosigkeit jetzt nicht mehr durch das sonnige Gemüt ihres Ehemanns gemildert wurde, war der späte Preis für dieses Juwel. Dieser Gedanke ging Barbara – warum auch immer gerade jetzt – durch den Kopf, während sie den Wagen in der Garage parkte und Lina dabei war, aus dem Auto zu klettern und neugierig auf die Hofeinfahrt hinaus rannte.

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