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Deutsche auf die Couch.

Der deutsche Wald stirbt. Sagen Förster, Waldbesitzer, fachlich beschlagene Ökologen und Wissenschaftler – und natürlich politisch Grünbewegte – übereinstimmend. Seit über dreissig Jahren. Aber er ist immer noch nicht tot. Glücklicherweise. Allerdings streiten die hier Genannten trotz grundsätzlicher Einigkeit über das Siechtum deutscher Forsten seit Anfang diesen Jahres «wie die Bürstenbinder». Volkstümlichkeit sei erlaubt an dieser Stelle. Doch dazu später. Den möglicherweise aufkommenden Vorwurf der Diskriminierung einer Minderheit möchte ich ausserdem sogleich ausräumen: Bürsten werden heute von Maschinen gebunden, die sprachliche Wendung ist also in ihrem sozial-historischen Kontext einzuordnen. Ach, worum sie streiten? Genau um den endlos sterbenden Patienten.

Warum sie das tun: Mitte Februar hat Gruner & Jahr mitgeteilt, dass sein Magazin GEO «einen Impuls für nachhaltige Forstwirtschaft setzen» wolle. Dafür solle ein neuer Bachelor-Studiengang für «ökologische Waldwirtschaft» mit zwei bis drei Stiftungsprofessuren ins Leben gerufen werden. Das dort formulierte Ziel, den «Studiengang als konstruktive Alternative zu bisherigen Ausbildungsgängen in diesem Gebiet» zu etablieren und «ein Umdenken in deutschen Forsten zu erreichen», hat neun forstliche Fakultäten und Hochschulen aus Dresden, Eberswalde, Erfurt, Freiburg, Göttingen, München, Rottenburg und Freising-Weihenstephan auf den Plan gerufen. In einer gemeinsamen Pressemitteilung wehren sie sich ihrerseits gegen «Unterstellungen» und «ein falsches und sehr unvollständiges Licht», das in aller Öffentlichkeit auf die forstakademische Ausbildung geworfen werde. Weitere Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten: «Forschung und Lehre gehört an die Hochschulen – und nicht in die Hände von Verlagen und Autoren», schreibt beispielsweise die AGDW, die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldeigentümer.

Was also steckt hinter dieser – für das eher konservativ gestrickte Umfeld der Deutschen Forstwirtschaft – ungewöhnlich hitzigen Diskussion? Gruner & Jahr hat einen Trigger-Punkt der meistens gemütlich grün gewandeten und in Überzahl männlichen Forstwelt aktiviert: Peter Wohlleben, Bestseller-Autor, selbst ernannter Waldökologe, Filmemacher und Vortragsreisender in eigner Sache und mit seinem Buch «Vom geheimen Leben der Bäume» weithin bekannt, ist neben dem Biologen Pièrre Ibisch, Professor für «Nature Conservation» an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde, offizieller Kooperationspartner der Verlagsinitiative. «Unsere Wälder sollen in lebenswerte Landschaft entwickelt werden. Sie haben es verdient, als komplexes Ökosystem erforscht und geschätzt zu werden, und nicht ausschließlich nach Maßgabe ihres Holzertrags. »Das könnte Peter Wohlleben direkt so gesagt haben, und so ist die Begründung für die geplanten Stiftungsprofessuren durch Gruner & Jahr.

Die etablierten Hochschulen und Verbände sind prompt «übers Stöckchen gesprungen», das ihnen der Großverlag werbewirksam hingehalten hat: Gruner & Jahr und seine Kooperationspartner sehen sich als Vertreter einer «guten» Waldwirtschaft und implizieren damit, dass alle bestehenden Institutionen und im Besonderen die entsprechenden Fakultäten an den Universitäten und Hochschulen für die «falsche» Forstwirtschaft stehen – als Apologeten der auf Gewinnmaximierung getrimmten Holzäcker. Elegant und nebenbei nimmt Gruner & Jahr in seiner Ankündigung das Ergebnis der angestrebten Forschung und Lehre vorweg, nämlich mittels «Umdenken» die gesellschaftliche Anerkennung «geschätzter Ökosysteme» zu erreichen. Das Ganze «gelabelt» mit der gegenwärtig öffentlich und politisch bestens zu vermarktenden Marke Peter Wohlleben.

Ist das jetzt ein kommunikativer Taschenspielertrick mit öffentlicher Wirksamkeitsgarantie oder nicht doch Ausdruck eines tief sitzenden Missverständnisses, das schon jahrhundertelang die Diskussionen um den (deutschen) Wald bestimmt?

Meyers Konversationslexikon erklärt um die Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert: «In ethischer Beziehung bedingen Waldungen in hohem Grade die landschaftliche Schönheit einer Gegend und stehen in einer tiefen und ernsten Beziehung zu dem geistigen und gemütlichen Leben des Volkes.» Dem Wald wird also schon damals explizit eine metaphysische Dimension zugesprochen. Auf das Rätselhafte sagenumwobene, einer höheren Dimension Zugehörige spielte Franz Kafka an, als er geschrieben hat: «In den Wäldern sind Dinge, über die nachzudenken man jahrelang im Moose liegen könnte». Das ist zwar im romantischen Sinn noch heute assoziationsreich und gefühlsweckend schön, doch es bleibt unbefriedigend neblig. Die Propaganda der Nationalsozialisten griff dieses Waldverständnis auf und nutzte es für ihre Zwecke. Wald wurde interpretiert als das Ewige, Unvergängliche, als Ort, wo im Kampf der Stärkste und Schönste siegt, als Ort aber auch der Geheimnisse und Rätsel, vor allem aber – der Wald als Heiligtum, in der Tradition der germanischen Urväter. Selbst Dichter und Denker, die mit den Ideologien jener Zeit nichts gemeinsam hatten, konnten sich dem mythologischen Geraune nicht entziehen. Deutlicher wird Elias Canetti dann ein paar Jahrzehnte später. Auch er behauptet mit feiner Ironie eine Sonderrolle des Waldes im deutschen Gefühlsleben: «In keinem modernen Lande der Welt ist das Waldgefühl so lebendig geblieben wie in Deutschland. Das Rigide und Parallele der aufrechtstehenden Bäume, ihre Dichte und ihre Zahl erfüllt das Herz des Deutschen mit geheimnisvoller Freude. Er sucht den Wald, in dem seine Vorfahren gelebt haben noch heute gern auf und fühlt sich eins mit den Bäumen».

Das Geraune ist zurück. Im 21. Jahrhundert liest sich die sozialromantische Interpretation der Waldgesellschaft so: Im «Sozialamt» Wald – oder wahlweise im «echten Wald», eine Begrifflichkeit, die durchaus ungute Assoziationen wecken könnte – hängt «das Wohl der Bäume von der Gemeinschaft ab, und wenn die vermeintlich Kraftlosen verschwinden, dann verlieren auch die anderen.» Das ist der Traum von der vollkommenen Gesellschaft wo «Baumeltern mit ihren Kindern zusammenleben» und «Buchen» auf «ausgleichende Gerechtigkeit großen Wert zu legen scheinen». Genau diesen Traum entfaltet Peter Wohlleben im schon genannten Kassenschlager «Vom geheimen Leben der Bäume» in Buch- und Filmform. Ein Traum, der sich nicht auf die faktenbasierte Argumente und naturwissenschaftliche Evidenzen beruft, sondern das im politisch-öffentlichen Kontext etablierte Ideal- und Wunschbild vom Wald, von der Natur – und eben der Gesellschaft – bedient.

In dieser Situation muss und wird eine naturwissenschaftliche und ökologische, aber auch eine wirtschafts- und ordnungspolitische sowie letzten Endes auch wissenschaftspolitische Argumentation versagen. Weil sie sich den falschen Gegenstand sucht. Es geht nicht um den Wald. Es geht auch nicht um Ökologie und Natur. Und es geht nicht um Forschung als Weg zu weiterem Erkenntnisgewinn. Sondern es geht um das Bild, das die Protagonisten dieses Streits vom Wald haben – und damit letztendlich um Deutungshoheit in einem Land, das seinen Wald so besonders liebt.

Kann das funktionieren? Florian Hildebrand, ehemaliger Wissenschaftsredakteur beim Bayerischen Rundfunk, hielt schon vor vielen Jahren den Besuch des kollektiven Selbst der Deutschen auf der Couch des Psychiaters für angebracht: «Der Deutsche liebt seinen Wald, so heißt es, aber er kennt ihn nicht. Man kann nicht lieben, was man nicht kennt. Man müßte diesen liebenden Deutschen eine sozialpsychologische Therapie verordnen. Die klassische Freud‘sche Analyse würde dann ihre Klienten zurückführen bis zu dem Punkt ihrer Vergangenheit, als sie, die Klienten, ausgelöst durch ein traumatisches Erlebnis, sich ‚den‘ Wald als Ersatzobjekt für ihre Liebe ausgesucht haben, weil sich ihnen das eigentlich gewollte Liebesobjekt verweigert hat».

1 Kommentare

  1. Birgit Kälble sagt

    Lieber Justus,
    Welch interessanter Text zum Wald! Ich glaube in Hornberg oder Schiltach soll bei einer Klinik ein Stückchen Wald als «Therapiewald» ausgewiesen werden, jedenfalls wollen das ein paar Leute. Es ist alles eine Frage des Marketings.
    «Geh mal im Wald spazieren, um die abzuregen» ist ja doch SEHR langweilig gewesen. Jetzt geht man «ACHTSAM» durch den gleichen Wald, atmet bewusst, riecht intensiv, reinigt seine Gedanken und inneren Säfte durch die gesunden Aerosole. In diesem Sinne freue ich mal auf einen gemeinsamen Spaziergang. Wann? Herzliche Grüße Birgit

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