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So ein Theater. Vom Volk fürs Volk.

«Es hat damit zu tun, dass wir uns aus dem Fenster lehnen.» Das könnte man als Kritik am subventionierten Staatstheaterbetrieb verstehen, der in mehr oder weniger prachtvollen Gebäuden und vor ebenso vor mehr oder weniger gut besetzten Rängen Schauspielkunst für ausgewähltes Publikum zelebriert. Soll es aber nicht sein.

Vielmehr beschreibt Arnd Heuwinkel, Schauspieler, Kulturschaffender, Regisseur und inzwischen zusammen mit der Schauspielerin und Regisseurin Antonia Tittel treibende Kraft bei «Theater in den Bergen» den aus seiner Sicht entscheidenden Grund für den Erfolg dieses «modernen Volkstheaters» – nämlich bei allen Akteuren «in den Bergen» Vertrauen zu genießen. Bei den Schauspielern – Laien und Profis –, beim Publikum aus nah und fern, bei der örtlichen Bevölkerung und allen amtlichen und nicht amtlichen Unterstützern wie Ortsverwaltung, Vereinen und Privatleuten, die zum Beispiel ihre Scheunen oder Wiesen für die Aufführungen zur Verfügung stellen. Ein Theater «vom Volk fürs Volk» wie die engagierten Theatermacher Anspruch und Wirklichkeit des außergewöhnlichen Projekts beschreiben. Mit «Ehrsberg 21» begann vor zehn Jahren alles, mit der aktuellen Produktion «Der Herr der Augenringe und die Brille der Macht» steht im schwierigen Corona-Jahr Zwei das zehnjährige Jubiläum an.

Die Idee des ambitionierten Theaterprojekts im Dorf und mit der Landschaft als riesiger Freilichtbühne war es seit Beginn, der in der öffentlichen Wahrnehmung leider eher angestaubten Form des Laien- und Volkstheaters einen frischen «Dreh» zu geben. Manchmal ziemlich schräg, manchmal provokant, oft ziemlich aktuell, aber immer heiter bei allem anspruchsvollem Ernst der Inszenierungen und ihren Themen. «Das ist meine Vision von zeitgemäßem Theater im viel beschworenen ländlichen Raum – Menschen augenzwinkernd mit Heiterkeit und Tiefgang für Fragen und mögliche Antworten zu gewinnen, die eigentlich jeden irgendwann auf seiner Achterbahn-Fahrt durchs Leben beschäftigen. Egal ob er jung oder alt, arm oder reich ist, ob er in der Weltstadt oder auf dem Land im Dorf lebt», beschreibt Arnd Heuwinkel seine Motivation. So sei es für ihn auch immer wieder einer der schönsten Momente, zu spüren wie sich bei den Laien-Schauspielerinnen und -Schauspielern im Laufe der Proben das Erkennen für diese Fragen und die Bedeutung im eigenen Spiel abzeichne. «Daraus gewinnt dann das Stück seine Kraft fürs Publikum.»

Das Publikum ist dem «Theater in den Bergen» seit dem ersten Jahr in treuer Begeisterung ergeben. Bis zu 400 Personen pro Aufführung machen sich mit Klappstuhl, gegebenenfalls warmem Pullover und Decke auf nach Ehrsberg auf einer Sonnenterrasse im hinteren Wiesental, um die besondere Atmosphäre unter freiem Himmel, beeindruckender Kulisse aus Schwarzwaldbergen und grünen Matten zu erleben. Oft heißt es schon bald nach dem Start des Kartenverkaufs «Ausverkauft!» Hier funktioniere die Idee des «nah bei den Menschen zu sein» wunderbar, betont Antonia Tittel. «Man begibt sich nicht in einem dunklen Theaterraum – in dem man ja schließlich, auch wenn man gemeinsam geht, alleine gegenüber der Bühne sitzt. Sondern man geht zusammen mit Sack und Pack von Szenenort zu Szenenort. Da kommt man ins Gespräch, übers Stück, über Gott und die Welt. Man kommt sich nahe, schafft Verbindung. Zwischen Schauspielern und Publikum, zwischen den Besuchern untereinander und nicht zuletzt zwischen den vielen Helfern aus dem Dorf, die dafür sorgen, dass das alles klappt.»

«Es gab schon immer Bewertungssysteme. Und es gab vor allem den – nicht immer, aber meistens – herablassenden Blick von der Stadt aufs Land. Mit der stillschweigend Voraussetzung, das kulturelle Bedürfnis auf dem Land sei nur wenig ausgeprägt», wendet Arnd Heuwinkel ein, um dem pointiert entgegenzusetzen: «Aber Provinz ist kein Ort, sondern in den Köpfen. Der ländliche Raum hat genauso kulturelle Bedürfnisse und Potentiale wie Städte und Metropolen.» Der Theatermacher spannt so auch den Bogen zu einer aktuellen Diskussion, die die künftigen sozialen Bruchlinien zwischen Stadt und Land voraussagt. «Wir können das jetzt achselzuckend als Unabänderlichkeit hinnehmen, oder die Chancen der Kultur mit ihrer gesellschaftlichen Bedeutung nutzen und ihr Potential ausschöpfen, das Menschen zueinander bringt.» Deshalb ist es auch der Traum von Arnd Heuwinkel und Antonia Tittel, Kulturschaffende der ländlichen Region noch besser zu vernetzen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen, noch mehr Verantwortliche für die Möglichkeiten der kulturellen Initiativen zu gewinnen und die ungewöhnlichen Spielformen des «Theaters in den Bergen» auch an anderen Orten des hiesigen ländlichen Raums zu etablieren. «Das ist auch verbunden mit dem Wunsch, uns noch weiter zu professionalisieren», erklären beide.

Apropos Professionalität: Antonia Tittel und Arnd Heuwinkel leben als freischaffende Theaterkünstler zu einem wesentlichen Teil von der Arbeit für und mit dem «Theater in den Bergen». Je nach Inszenierung stoßen zu den Laienspielern Profis dazu. In der aktuellen Produktion «Der Herr der Augenringe und die Brille der Macht» – Arnd Heuwinkel hat das Drehbuch geschrieben – stehen 40 Schauspielerinnen und Schauspieler im Alter zwischen 5 und 76 Jahren auf der Bühne. Für die aberwitzige Rolle der Kommissarin Schimpansky konnte eine Profischauspielerin gewonnen werden: Lena Drieschner, die viele Jahre Ensemblemitglied am Theater Freiburg war und durch Fernsehfilme bundesweit bekannt ist. Außerdem werden drei Profimusiker das Ensemble begleiten. Im spannenden Krimi-Stück mit gesellschaftspolitischem Tiefgang geht es um ein Unternehmen, das Brillen herstellt. Als der Firmenpatriarch Billy Bob König stirbt, entdeckt sein Sohn in einem Tresor eine Brille mit magischen Kräften. Bald sind nicht nur die Familie des Brillenkönigs, sondern auch die geldgierige «bucklige Verwandtschaft», die Polizei und finstere Mächte hinter dieser Brille her, die Weltherrschaft verspricht.

Ein Wermutstropfen für das zehnjährige Bühnenjubiläum sind die Hygienevorschriften der aktuellen Corona-Verordnungen und die damit verbundenen Unsicherheiten. Nur 100 Zuschauer pro Vorstellung dürfen dieses Jahr kommen und das gewohnte kulinarische Programm der rund zweieinhalbstündigen Freilicht-Aufführung müssen die Besucher dieses Jahr mit dem eigenen Picknickkorb bestreiten. Arnd Heuwinkel und Antonia Tittel sind in diesem Zusammenhang auch mit den Skurrilitäten des öffentlichen Förderwesens konfrontiert: «Weil sich einige Förderungen an den zahlenden Besucherzahlen orientieren, sind wir mit Corona doppelt geschnitten.» Und spätestens hier sitzen die Wiesentäler Theatermacher mit allen Kulturschaffenden der Republik aus Stadt und Land in einem Boot: Corona hinterlässt im kulturellen Sektor tiefe wirtschaftliche Spuren, Politik und Öffentlichkeit interessieren sich dafür allerdings nur am Rande.

Unter anderem veröffentlicht am 03.12.2020 im Wirtschafts-Magazin «netzwerk südbaden»

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