Türchen 16: Vom Ende her gedacht?
Vom Ende her gedacht zu haben, war ja bei Mutti Merkel mehr Legende als Wirklichkeit, wie wir heute – oberschlau – wissen. Aber ganz grundsätzlich ist das ja ziemlich weise, sein Leben so zu leben.
Vom Ende her gedacht zu haben, war ja bei Mutti Merkel mehr Legende als Wirklichkeit, wie wir heute – oberschlau – wissen. Aber ganz grundsätzlich ist das ja ziemlich weise, sein Leben so zu leben.
Sagte einst Arthur Schnitzler zu seinem Freund Rimbaud. «Ich war als Kind immer allein draussen unterwegs. Meiner Mutter war es egal, was ich gemacht habe. Hauptsache ich war um 18 Uhr zurück.» Erzählte Ingo Froböse, Professor für Prävention und Rehabilitation an der Deutschen Sporthochschule, Köln kürzlich in einem Interview. Ja, so sollten Kindheitstage sein. Damit Kinder eine angemessene «Risikokompetenz» entwickeln und sich die Koordinaten einer ebenso angemessenen «Sicherheitskultur» im Erwachsenenleben nicht verschieben. Wie das Soziologen etwas sperrig ausdrücken. Und Menschen nicht schon zwei Tage vorher Angst vor Eisregen haben, der vielleicht gar nicht kommt, weil sich das Wetter nicht an die Vorhersagen hält. Ist halt einfach so, dass man erst wirklich weiss, dass ein Messer zuweilen ein gefährliches Instrument ist, wenn man sich geschnitten hat, …
Hoffnung = Freude + handelnde Güte (oder gütiges Handeln) ohne Sorge + bittender Dank. Hoffnung entfaltet übrigens ihre Kraft zum Leben, wenn alles dagegen spricht. Morgen ist Weihnachten. Trotz Corona. Ein guter Zeitpunkt zu hoffen. Und wer einen klugen Beitrag eines berühmten journalistischen Kollegen lesen möchte, wird hier fündig.
«Trenne Dich nie von Deinen Illusionen! Wenn sie verschwunden sind, wirst Du weiter existieren, aber aufgehört haben zu leben.» (Mark Twain)
Alles im Griff. Er kam zügig voran. Jetzt kam eine ausgesetzte Stelle, er musste sich weit ausschwingen. Nur noch die Fußspitzen hatten Kontakt zum kleinen Felsband, seine Rechte krallte sich am Granit fest, mit links hängte er den Sicherungskarabiner ein. In diesem Moment realisierte er die gewaltigen Dimensionen um sich herum: 500 Meter Wand gähnten unter ihm im kalten Schatten, ein atemberaubendes Panorama weitete sich machtvoll. Alles im Griff? Die Illusion seines Lebens.
«Es ist sehr verlockend, den Mund nicht aufzumachen. Aber Kunst ist das Gegenteil davon. Kunst ist, Risiken einzugehen, selbst wenn man nicht immer glaubt, damit etwas bewegen zu können. Etwas zu riskieren, weil es einen das Leben spüren lässt.» Sagt Jason Isbell, ein amerikanischer Singer-Songwriter. Die Initiative www.aufstehenfuerdiekunst.de kämpft für die Kunst in lebensfeindlichen Zeiten wie diesen. Denn Kultur ist für eine Gesellschaft Über kurz oder lang überlebenswichtig.
Leben braucht Mut. Oder bedeutet Mut, einfach zu leben? In jedem Fall wird uns Angst nicht helfen, die Herausforderung und Zumutungen der Pandemie zu bewältigen, und sie ist – wie der Volksmund schon sagt – «ein schlechter Ratgeber». Verabschieden wir uns also von dieser scheinbar unausweichlichen Verabredung zur Angst, wie sie uns jetzt aufs Neue von Medien und politischer Öffentlichkeit aufgedrängt wird. Es gibt da diese Erzählung, die mit dem weltberühmten Satz beginnt: «Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet Euch nicht!» Die Geschichte von Weihnachten – und ein guter Einstieg in die neue Woche.
«Feuer?» Der Fremde beugte sich – in der Rechten einen Zigarillo – in selbstverständlich freundschaftlicher Vertraulichkeit zu ihm. Yves mochte weder das Eine noch das Andere. Raucher waren nämlich aus seiner Sicht nicht automatisch Freunde, weil sie dieselbe Sucht teilten. Und seit Corona war Vertraulichkeit unter Fremden sowieso äusserst deplatziert. So musterte Yves sein Gegenüber mit kühler Distanziertheit. Wer Yves kannte wußte, dass die unmerklich nach oben gezogenen Brauen und das leicht überlegen wirkende und nur angedeutete Lächeln blitzschnell in kalten Zynismus umschlagen konnten. Der Fremde wirkte eigentlich nicht unsympathisch. Mittelgross, sportlich, aber eher schmächtig, blondes, leicht gewelltes, nach hinten gegeeltes Haar, auf den Körper geschnittener Massanzug, feine hellbraune Lederschuhe. Durchnitts-Typ. Gehobenes Management. Einzig die strahlend blauen Augen waren auffällig. Er hätte schwören können, der Typ wäre Amerikaner. Aber er sprach offensichtlich deutsch. Woher wußte der Fremde, dass Yves Deutscher war?
Der Tag versprach schön zu werden. Einer jener ersten lauen Frühlingstage wie sie die Westwinde durch die burgundische Pforte früher als anderswo ans Rheinknie blasen. Peter Steiner war zeitig dran, und so ließ er sich Zeit bei seinem Umweg ins Büro. Mit dem Fahrrad gondelte er gemütlich über die Markgräflerstraße hinab an den unteren Rheinweg, an den hässlichen Druckbehältern und Tanks der «Chemischen» vorbei – wie die Basler ihre großen Pharmaunternehmen nennen. Von der Dreirosenbrücke ging es dann Richtung City. Peter Steiner genoß diese kleine Rundfahrt am Morgen, wenn er vom Rheinufer kommend an der mittleren Rheinbrücke stadteinwärts einbog. Zu dieser Zeit lärmte die Stadt noch nicht im grellen Geräusch und ohne Hast stiegen die Menschen an den Straßenbahnhaltestellen ein und aus. Ja, Basel, das sich tagsüber in fast weltläufiger Hektik von seiner unfreundlichen Seite zeigte – um diese Zeit strahlten Straßen und Plätze eine heitere Gelassenheit aus. Und die Stadt, sie tönte anders. Das Gebimmel der Tram war deutlich zu hören und aus den zum Lüften geöffneten Fenstern der Stadthäuser manchmal das morgendliche Toilettenrauschen …
Stille. Das Wasser des großen Stroms zog leise glucksend und tief schwarz vorbei. Rechts, stromabwärts blinkten in der Ferne die Positionslampen der Schleusen am Kraftwerk, gegenüber war der Widerschein der Straßenlaternen des kleinen Dorfs zu sehen. Vor ihm dümpelte die Schwimmblase mit seinem Gepäck. Die hatte Paulo im Schutz der Uferweiden schon ins Wasser gelassen, bevor er sich ein paar Stunden aufs Ohr gelegt hatte. Um zu checken ob, sie dicht war. Er war todmüde gewesen. In einem Rutsch Hamburg-Basel mit einem LKW aus Rumänien, der – eigentlich auf dem Weg nach Rom – jetzt erst mal am großen Grenzübergang gestrandet war. Mit ihm allerdings reiste das Glück, er hatte gleich den nächsten Lift rheinaufwärts bekommen. Dann war er zu Fuß an das flache Uferstück gekommen, das an dieser Stelle ein kleine Bucht bildete. Er kannte sich bestens aus. Schließlich war er hier groß geworden. Eltern und Geschwister wussten nichts davon, dass er in der Gegend war. Gut so. Sie würde er auf dem Rückweg besuchen. Wann immer auch das sein würde.