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«Nai hämmer gsait!»

Vorneweg – ich gehöre zur Risikogruppe, denn ich kann mich noch an den Widerstand gegen die Volkszählung erinnern, ebenso ans «Nai hämmer gseit“ in Wyhl. Deshalb bin ich ein Opfer oder Gewinner meiner Sozialisation in jener Zeit, und verspüre mehr als Unwohlsein, wenn staatlich sanktioniertes Tracking gefordert, Ausgangssperren verhängt und handstreichartig der verfassungsrechtliche Grundpfeiler dieser Republik, nämlich der Föderalismus, geschleift werden. Aber verrückt wie sich die Zeiten ändern und doch alles gleich bleibt.

«Angst essen Seele auf.»

Evolutionsgeschichtlich hat die Angst eine wichtige Funktion als ein die Sinne schärfender und Körperkraft aktivierender Schutz- und Überlebensmechanismus, der in tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen Gefahrensituationen ein angemessenes Verhalten (Fight-or-Flight) einleitet. Allerdings – Angst als Grundbefindlichkeit oder als gesellschaftlicher Dauerzustand wird zu individueller oder kollektiver Paranoia. Und schädigt sowohl jeden Einzelnen als auch die Gemeinschaft. «Angst essen Seele auf.» So drückte es Ali in Fassbinders berühmtem Film aus. Ganzheitlich ausgerichtete Mediziner sprechen davon, dass eine halbe Stunde Angst rund sechs Stunden Immunsupression auslösen. In drei Tagen ist Ostern. Ein guter Zeitpunkt, uns von dieser scheinbar gemeinsamen und unausweichlichen Verabredung zur Angst, wie sie uns seit rund einem Jahr von Medien und politischer Öffentlichkeit aufgedrängt wird, zu verabschieden. Angst wird uns nicht helfen, die Herausforderung und Zumutungen der Pandemie zu bewältigen, und sie ist – wie der Volksmund schon sagt – «ein schlechter Ratgeber». Täglich zu besichtigen im zunehmend hilf- und phantasielosen Handeln angesichts der gegenwärtigen Situation. «Euch ist nicht der Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit gegeben.» Oder so …

Die Tempo 20-Gesellschaft.

Kennt Ihr das? Irgendwo auf der Landstraße: Alles ist gut, Ihr kommt zügig vorwärts, der Verkehr fließt mit achtzig, auch mal hundert Stundenkilometern. Und dann plötzlich das «Tempo 70»-Schild. Vorbei ist es mit der flotten Herrlichkeit. Denn der brave Steuerbürger vor Dir fährt jetzt nicht 70 wie es da ausgeschildert ist, sondern zwischen 50 und 60. Warum? Das wird dann zur philosophischen Frage, während Du hinter ihm herzuckelst.

Nackt.

«Digitalisierung» und «Transformationsprozess» sind die Zauberworte, mit denen uns die Propheten einer neuen Zukunft locken. Während sie sich klammheimlich die Hände reiben, weil die gegenwärtige Pandemie auf diese Veränderung wie ein Brandbeschleuniger wirkt. «Digitaler Euro», «kontaktloses Bezahlen», «in-house delivery», «digitale Krankenakte» – die schöne neue Welt hat viele Namen. Und wir datteln alle weiter selbstvergessen auf unseren Handys, ohne zu bemerken, wie sich Bürgerrechte auflösen und unsere Identitäten in der virtuellen Welt gegen uns verwendet werden. In der vergangenen Woche hat sich in Finnland allerdings eine digitale Katastrophe ereignet, die es seltsamerweise noch nicht flächendeckend in die Schlagzeilen geschafft hat. Ein Hacker hat die Krankenakten von rund vierzigtausende Patienten eines großen Psychotherapiezentrums in seinen Besitz gebracht. Inklusive der so genannten «Personenkennzeichen».

Junk fürs Hirn.

«Was ist doch das jetzt schlimm mit den fake-news, und das Gerede von der Lügenpresse», «Wie kann es denn bloss sein, dass diese Amerikaner diesen schrecklichen Donald Trump gewählt haben und womöglich wieder wählen». «Na ja, und diese Brexit-Briten» oder «Huch, diese AfD-Hetze und Covidioten, und wieviele auch bei uns drauf hereinfallen»: Gehört alles zum guten Ton in bildungsbürgerlichen Kreisen beim gepflegten Mosel-Riesling und sautierten Felchenfilet auf Safran-Risotto. Ebenso wie die Aufregung über den Niedergang der Deutschen Presselandschaft von Stern bis Spiegel und von Süddeutscher bis FAZ, oder über das bescheidene Niveau des lokalen Provinz-Blättchens. Und dann kommt – weil unsereins ja «vom Fach» ist – die Auslöser-Frage für eine Wut-Rede: «Kannst Du mir eigentlich erklären, warum ein Digital-Abo im Verhältnis zur gedruckten Zeitung so teuer ist?»

Die Blockwarte sind unter uns.

Man stelle ich vor: Christian Lindner hat einen Freund zum Abschied umarmt. «Ohne Vorsatz», wie er sagt. Einfach so. Unglaublich, böse, ungezogen und asozial. Die Blockwarte lösten einen Shitstorm aus. Qualitätsmedien wie SPIEGEL, FAZ und andere durften da nicht schweigen und titelten: «Abstandsregeln verletzt» oder «Auch andere Politiker halten sich nicht immer an die Regeln». Traurig aber wahr – inzwischen fällt einem Liberalen dazu nichts besseres ein, als sich zu entschuldigen. Für was eigentlich?

Kinder an die Macht!

«Sport war einmal ein wichtiger Bestandteil unserer Gesellschaft, der unter anderem auch die Interessen der Kinder und Jugendlichen mitvertreten hat. Von Kindern und Jugendlichen, die jetzt auch durch den Sport nicht mehr aus dem Umfeld häuslicher Gewalt, die es – geschätzt – in jedem siebten Haushalt in Deutschland gibt, vorübergehend entfliehen können, die seit langem auch fast keine körperliche Interaktion und kein adäquates Bildungsangebot mit Gleichaltrigen mehr hatten.» Professor Perikles Simon in der FAZ vom 13. Mai 2020